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Tag #985: Senf zu Google+

Es macht wenig Sinn, selbst etwas über Google+ zu schreiben, denn das Netz ist voll von guten Artikeln darüber. Besonders hinweisen möchte ich auf Google+ Spagat: Follower-Modell & reale Namen. Dort wird thematisiert, was mich am meisten an Google+ stört: Das Follower-Modell (wie bei Twitter) mit Realnamen (wie bei Facebook).

Facebook entstand ja als Menge von getrennten Subnetzwerken, insbesondere an Hochschulen. Dort kannte schon jeder jeden vom sehen, und über die Facebooks wurde die Vernetzung auf Realnamenbasis in die jeweils abgeschotteten Onlinebereiche ausgedehnt. Zugang hatte man nur mit E-Mail-Adressen in der jeweiligen Uni-Domäne, und Verbindungen mussten zusätzlich auch noch von Anfang an von beiden Kontakten bestätigt werden. So traten sehr schnell fast alle an den Hochschulen bei, und Privatsphäre war kein Thema.

Heute sind alle ehemaligen Subnetze zu einem verbunden, und man kann sich auch ohne Subnetzzugang zu Facebook anmelden. Zum Zeitpunkt der Zusammenführung existierten aber bereits so viele Realnamen-Accounts, dass Facebook sich auch zum Wiederfinden alter Realkontakte eignete. So konnte sich die Realnamen-Kultur bei Facebook auch weiter durchsetzen und besteht noch heute, wo Like-Buttons das gesamte Web auch jenseits von Facebook durchseuchen. Klickt man auf "gefällt mir", so hinterlegt man Namen und Gesicht an dieser Stelle. Selbst bei Leuten, die nicht bei Facebook angemeldet sind, wird mit deren Bekannten für Facebook geworben (was geht, weil Facebook über diese Buttons so viel Daten sammelt, dass es quasi alle Internetnutzer kennt). Und so melden sich immer mehr an -- auch mit ihrem Realnamen. Auch schon deshalb, weil ihnen sonst fast sämtliche Inhalte verborgen und die Partizipation versagt bleibt.

Twitter kommt aus einer ganz anderen Ecke. Es war von Anfang an global und ohne gegenseitige Kontakt-Bestätigung. Man publizierte (in der Regel anonym) ins komplett Öffentliche und stalke völlig unabhängig davon (entsprechend auch anonym) anderen hinterher. Selbst wenn im Profil dann doch ein Realname steht, so ist die Identifikation trotzdem nahezu immer ein Pseudonym. Gäbe es nur Realnamen als Identifikation, wäre Twitter in seiner heutigen Größe undenkbar. Es lebt vom publizieren und stalken, also 1. von der völligen Öffentlichkeit und 2. von der Anonymität des ersten Blicks -- und nicht von der persönlichen sozialen Vernetzung.

Google+ versucht nun genau dieses Twitter, aber eben mit Realnamen. Google wurde groß mit persönlichen Online-Tools wie Kalender, Online-Office, Webseiten-Feed-Reader, Such-Alerts, Bookmarks, usw., die man für sich alleine benutzte, sowie mit privaten Korrespondenz-Tools wie GMail, für die man Realnamen verwendete. Google investierte in Kollaborationstools (wie Wave) und kommt auch sicher bald mit Whiteboards und Screencasts. Es drängt also auch ins Berufliche und in Vereine, d.h. es basiert auch bei Google alles auf Realnamen -- nur eben bisher ohne Netz. Jetzt stülpt Google ein Netz über die Tools, aber eben nicht nach dem Facebook-Prinzip, sondern nach dem von Twitter.

Mir gefällt das nicht.

Wie bei Twitter kann man Leuten folgen, und man kann sehen, wer einem folgt -- ohne dass das gekoppelt wäre. Wie bei Twitter kann man sich auch nicht übersichtlich anzeigen lassen, bei wem von den Verfolgten man nicht in einem Kreis ist. Bei beiden Netzen soll man ausdrücklich nicht das Gegenseitige anstreben, sondern unabhängig voneinander publizieren und stalken. Nur eben mit Realnamen.

Ich finde das blöd.

Alle Leute, die mich in einen ihrer Kreise packen, ordne ich auch einem meiner Kreise zu, strebe also konsequent das Gegenseitige an. Und aktiv packe ich nur Leute in meine Kreise, die ich persönlich kenne. Fremden folge ich somit nicht, wenn sie mir nicht selbst schon folgen. Damit fehlen mir bei Google+ aber zwei wichtige Features von Facebook: Die Freundschaftsverweigerung (für Leute, die ich nicht kenne) und das Autoverbergen (für Freunde, für die ich mich nicht interessiere).

Kurzum: Wollte ich interessante Streams, müsste ich in Google+ (wie bei Twitter) 1. Freunde entfolgen und 2. Fremden folgen. Damit baute ich aber anders als bei Facebook eben KEIN Realkontaktnetzwerk auf. Das heißt im Umkehrschluss, dass ich bei Google+, das ich wegen der Realnamen als zweites Realkontaktnetzwerk verwenden möchte, keine interessanten Stream haben kann! Warum aber sollte ich dann darin aktiv werden?

Außerdem erschließt sich mir bei Google+ nicht, wie man denn sieht, was man zuletzt gemacht hat. Also wo ist das Aktivitätenprotokoll? Wen habe ich zuletzt zu einem Kreis hinzugefügt? Wo habe ich zuletzt kommentiert? Welchen Kommentar habe ich zuletzt ge-+1-t? Bei Facebook hat jeder Kontakt diese Ereignisse in seiner Timeline, und man selbst sie auf seiner Wall. Bei Google+ findet man den Kram nicht einmal selber wieder. Wie soll man da an seiner seiner Vernetzung arbeiten? Antwort: Man soll nicht.

Fazit: Google+ hat nichts von Facebook -- außer den Realnamen. Aber alles von Twitter -- und das passt nicht zu Realnamen. Damit kann ich mit Google+ nichts anfangen.

4 comments

York said:

Was mich bei Google+ übrigens auch stört -- und das ist wiederum genau wie bei Facebook --, ist dass man öffentliche Beiträge (die jeder im Web auch ohne Google+-Account sehen kann) nicht im Web referenzieren kann (es gibt keine Permalinks), sowie dass man Kommentare daran nicht wiederum kommentieren kann -- wie das hier bei Ipernity z.B. geht. Hier bei Ipernity hat sogar jeder Kommentar eines Kommentars auch noch selbst wieder einen Permalink im Web. So sollte es sein! Warum das bei Google und Facebook nicht so ist, ist klar. Beide versuchen Teile des Internets zu privatisieren.

Bei Twitter haben die Tweets noch Permalinks. Nehmen wir z.B. den toten User @nnz (zum Tod siehe den hiesigen Blog-Eintrag Wandel). Für den Permalink des drittletzten Beitrags klicken wir auf das Datum (hier "22 May") und kopieren dann aus dem Browser die URL des Tweets. Twitter haben die User auch noch Feeds. Für den RSS-Feed von @nnz stecken wir "@nnz" in http://www.idfromuser.com/ und packen die resultierende ID 12593462 in die URL http://twitter.com/statuses/user_timeline/12593462.rss (hinten vor das ".rss"). Kopieren wir diese URL dann in den Browser, können wir den Feed im Google Reader abonnieren. (Auch Ipernity hat Feeds. Auf der Userseite http://rumpel.ipernity.com sind ganz unten hinter "Feeds of rumpel" etliche Feed-Links.)

Ich sage in beiden Fällen "noch", weil sich Twitter auch zunehmend abschottet. In der Anfangszeit wurde bei Twitter noch das Feed-Icon neben der URL im Browser angezeigt, also an prominenter Stelle, und man brauchte zum Abonnieren nur einen Klick. (Vorausgesetzt man hat den Browser entsprechend eingerichtet. Bei Firefox habe ich dazu die Extension RSS Icon 1.0.6 installiert und bei Chrome die Erweiterung "RSS-Abonnement" (von Google) - Version: 2.1.3.) Bei Facebook und Google+ sucht man Feeds natürlich vergebens. Sie wollen außerhalb der offenen Blogosphäre mit ihren Links, Feeds und Trackbacks eigene geschlossene Welten schaffen und diese über Social Plugins wieder ins Web ausdehnen. Und viele steigen drauf ein. An dem oben eingangs genannten Webartikel kann man z.B. nur über Facebook und über Google+ kommentieren. Mit der Blogosphäre ist er gar nicht mehr vernetzt. Er will wohl nur Realnamen sehen. Ist das im Sinne des Internets?

Und kann man bei Google+ oder Facebook einen Kommentar (der hier bei Ipernity wie gesagt selbst einen Permalink hat und auch selbst kommentiert werden kann) so mit Links hinterlegen, wie hier geschehen? Man kann nicht! Geht die offene Verlinkung des Webs von Seiten also über in oligopolisierte Vernetzung von Usern?

Auf die Gefahr hin, mich zu wiederholen: Mir gefällt das nicht.
13 years ago ( translate )

York said:

Das Kreise-Konzept bei Google+ scheint mir auch überbewertet zu sein.

Twitter und Facebook haben ja ebenfalls Kreise -- sie heißen da Listen. Listen haben drei Funktionen (ich nenne Listen im folgenden mal überall Kreise):

1. Man kann den Stream (oder Timeline oder wie auch immer man es gerade nennt) von gefiltert nur den Leuten anschauen, die in einem bestimmten Kreis sind.

2. Man kann bei einer Aktivität auf der eigenen Wall (Statusmeldung oder Share oder sowas) die Sichtbarkeit auf einen bestimmten Kreis beschränken.

3. Man kann einen Kreis unsichtbar für sich privat haben oder publizieren, also im eigenen Profil als Klassifikation seiner Kontakte für andere sichtbar machen.

Nicht überall haben Kreise alle diese Funktionalitäten. Bei Facebook fehlt Nr. 1 (Stream), bei Twitter fehlt Nr. 2 (Sichtbarkeit) und bei Google+ ist Nr. 3 völlig schräg: Öffentliche Kreise gibt es gar nicht, und bei privaten Kreisen ist die Zugehörigkeit nicht wirklich privat. Eine Aktivität mit Sichtbarkeitsbeschränkung auf diesen Kreis offenbart sie nämlich den Kreismitgliedern. Sogar zurückliegende Aktivitäten tun das, denn deren Geteilt-mit-Liste wird bei nachträglicher Kreispflege rückwirkend angepasst.

Auch bei Nr. 2, also bei den Sichtbarkeitsbeschränkungen ist Google+ Facebook weit unterlegen, da bei Facebook nicht nur Kreis-Einschlüsse, sondern auch -Ausschlüsse, sowie Ein- und Ausschlüsse von zusätzlich einzelnen Personen (auch in Kombination) möglich sind. Da das bei Google+ nicht geht, hat man sehr starre Sichtbarkeiten nach Klassifikation. Die einfachere Pflege der Kreise macht diese Defizite nicht wieder wett.

Bei Facebook sind sie getrennt, die Kontaktpflege (mit gegenseitiger Bestätigung) einerseits und die Interessenpflege durch Ein-/Ausblenden der Aktivitäten der Kontakte, sowie durch separate Fanseiten (ohne gegenseitige Bestätigung) andererseits. Bei Twitter gibt es gar keine Kontaktpflege, aber dafür kann man sogar die Aktivitäten fremder öffentlicher Kreise abonnieren. Bei Facebook wiederum kann man zur Kontaktpflege auch in fremde Walls schreiben. Bei Google+ kann man irgendwie überhaupt nichts. Man kann nicht einmal Kommentare an fremden Walls bei sich teilen. Nur bei den Beiträgen selbst geht das -- aber dann ohne die Kommentare und ohne einen Backlink. Absurd.

Was bleibt am Ende also noch über, was für Google+ spricht? Ich finde nichts. Die Sparks ersetzen weder eine abonnierte Twitter-Suche, noch Facebook-Fanportal-Abos, sondern sind eine langweilige und kaum individualisierte Mischung aus Google Alerts und Google News. Also eine maschinelle Themensuche. Die Handouts gehen in Richtung Kollaboration (wie Google Documents auch) und sind orthgonal zu Google+ -- und die Kreise/Profil-Konzeption trägt eben vorne und hinten nicht für die Prozesse und Workflows, die die User fahren möchten. Insbesondere der Widerspruch zwischen Interessen-Feed-Pflege und Kontaktpflege wird nicht aufgelöst, sondern verschärft. Nicht nur bzgl. der oben thematisierten Realnamensproblematik.

Es bleibt also dabei: Mir gefällt Google+ überhaupt nicht. Schade. Denn dass mir Facebook auch nicht wirklich gefällt, habe ich ja schon geschrieben.
13 years ago ( translate )

York said:

Ach ja, drei Bemerkungen noch: 1. Google+ ist natürlich noch nicht ansatzweise fertig. 2. Ich kenne bestimmt längst nicht alle schon bestehenden Features. 3. Vielleicht entwickelt sich mit der Zeit aus genau den Dingen, die ich zuerst abgelehnt habe, auch ein gewisser Reiz. All das hier möge als erster Eindruck erstmal so stehenbleiben, aber ein letzter Eindruck -- oder gar eine abschließende Bewertungsgrundlage -- kann es nicht sein. Ich werde die Sache weiter experimentell beobachten und meine anfängliche Kritik irgendann vielleicht vor dem Hintergrund neu erschlossener Zusammenhänge relativieren. Ich bin selbst gespannt...
13 years ago ( translate )

Anke said:

Hihi... haargenau meine Meinung... bei Facebook habe ich nur einen Pseudo-Account, um gucken zu können, wenn nur für FB-Mitglieder sichtbar.
Bei Twitter bin ich auch lieber unter Pseudo.
Bei g+ mit Realname und genauso enttäuscht wie Du.
Im Profil hier sollte mein Real zu sehen sein, mit dem Du mich bei g+ findest.
Kreist Du mich ein und outest Dich für mich dort? :-)
Codewort: "Iperbetterthang+" :-)

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13 years ago ( translate )