Am Montag ab 19:30 Uhr ist der 7. "Stammtisch Grundeinkommen" im Kapovaz in Bremerhaven. Diesmal gibt es ein wahnsinnig konkretes Thema: "Warum, oder auch nicht, soll es ein bedingungsloses Grundeinkommen geben und wie kommen wir dahin? Was soll uns das Ganze bringen!".
Eigentlich wollte ich gar nicht hingehen, weil mir im Moment nicht nach solchen Diskussionen ist. Vielleicht gehe ich auch wirklich nicht hin. Aber mir gefällt die letzte Frage (die, die mit einem Ausrufungszeichen endet ;-) ), also die nach dem, was uns das denn bringen soll. Auf die Antworten wäre ich mal gespannt: Was soll das eigentlich?
Im Ernst: Wenn man da mal gegentritt, hat man schon den Begriff "bedingungsloses Grundeinkommen" schnell zerlegt, insbesondere was die Grundidee "alle bekommen es" angeht:
1. Jeder BGE-Ansatz, den ich kenne, muss in andere Sozialsysteme reinwachsen, da er diese auch vom Anspruch her teilweise übernimmt. Wenn aber z.B. Renten als Rechtsanspruch realisiert sind, dann müssen sie beim BGE somit teilweise angerechnet werden.
2. Jeder BGE-Ansatz, den ich kenne, muss auch durch Änderungen am Steuersystem mitfinanziert werden. Damit überlagern sich steuerliche Veränderungen mit dem ausgezahlten Grundeinkommen.
3. Jeder BGE-Ansatz, den ich kenne, hat auch eine irgendwie geartete grundsätzliche Abgrenzung. Irgendwer bekommt es, irgendwer nicht -- und manche nicht in voller Höhe.
Damit ist bei jedem Ansatz die unter'm Strich an den Einzelnen ausgezahlte (oder einbehaltene) Geldmenge jeweils höchst individuell. Sie wird bestimmt durch unterschiedliche Anrechnungseffekte und unterschiedliche Steuereffekte -- und durch die allgemeine Abgrenzung. Kurz: Ein BGE ist eigentlich ein gesamtgesellschaftlicher Eingriff in die Einkommensstruktur der Bevölkerung. Für die einzelnen Bürger aber ist es weder bedingungslos noch in gleicher Höhe.
Außerdem kann kein BGE einfach so eingeführt werden. Auch nicht schrittweise in Stufen. Jeder BGE-Ansatz, den ich kenne, bedarf eines Prozesses, in dem die einzelnen Steuerungsmaßnahmen laufend nachjustiert werden müssen. Maßgeblich für einen Erfolg ist also nicht die Konzeption des vorgedachten Ansatzes, sondern die nachgelagerten Entscheidungen bei der kontinuierlichen Nachjustierung.
Und damit, Stichwort Erfolg, sind wir genau bei jener obigen Frage, was uns das Ganze denn überhaupt eigentlich bringen soll. Das Problem ist ja wohl, dass die Organisation der Gesellschaft über Erwerbsarbeit nicht mehr funktionieren kann und die bisherigen Änderungsversuche (u.a. die Einführung von Niedriglohnsektoren und des Sanktionsregimes) kein tragfähiges Lösungskonzept darstellen. Also braucht es andere Steuerungsmaßnahmenpakete mit mutigeren Ideen.
Aber das Erwerbsarbeitsproblem ist ja nicht das einzige Problem des 21. Jahrhunderts. Auch der Kapitalismus, das Patriarchat und die Religionen kehren verstärkt zurück und drohen zu ernsteren Macht- und Unterdrückungsstrukturen zu werden als je zuvor. Diese Dinge greifen mehr ins Private ein, als es ein Staat je könnte. (Abgesehen vielleicht vom Sozialismus, der diese Machtstrukturen alle gleichzeitig durch eine einzige noch menschenverachtendere zu ersetzen versucht.) Jeder BGE-Ansatz, den ich kenne, berührt aber immer auch in erheblichem Maße alle diese Fragen. Und das meistens zum Negativen.
Man hört sie sehr oft, diese Befürchtung: Ein Grundeinkommen, das von Erwerbsarbeit emanzipiert, öffnet Tür und Tor für die Unterdrückung der Menschen. Aber ein Grundeinkommen, das nicht von Erwerbsarbeit emanzipiert, verstärkt die Gewalt von Niedriglohnsektoren und Sanktionsregime, unterdrückt also genauso. Und tatsächlich muss man diese Befürchtung teilen, da ein einmal ins Rollen gebrachter BGE-Einführungsprozess bzgl. seiner kontinuierlichen Nachjustierung kaum steuerbar sein dürfte. Jeder BGE-Ansatz, den ich kenne, macht sich auf einen Weg, dessen Ziel er nicht vorhersehen kann.
Warum dann also überhaupt Grundeinkommen? Warum ein so großer und unkalkulierbarer veränderlicher Eingriff in die Einkommensstruktur der Bevölkerung? Wird die nächste Krise noch beherrschbar, wenn man zugleich solche Experimente wagt? Und selbst wenn es so ist, dass eine Gesellschaft von klugen freien Menschen nicht ohne Grundeinkommen machbar ist (daran glaube ich), so gilt dennoch auch umgekehrt, dass eine Gesellschaft mit Grundeinkommen nicht ohne kluge freie Menschen möglich ist. Und die Einführung eines Grundeinkommens alleine wird keine klugen freien Menschen hervorbringen.
Also zusammengefasst: 1. So etwas wie ein bedingungsloses Grundeinkommen gibt es eigentlich gar nicht. 2. Wohin die Einführung eines BGE-Ansatzes die Gesellschaft am Ende geführt haben wird, ist kaum steuerbar. 3. Ein Grundeinkommen kann zugleich manche Unterdrückungsstrukturen abschwächen und andere, schlimmere, stärken. Für das, was man diesbezüglich erreichen will, gibt es aber überhaupt keinen gesellschaftlichen Konsens. 4. Bevor man ein Grundeinkommen einführt, muss man es erst einmal möglich machen. 5. Auch für einen BGE-Ansatz stellt sich die Frage der Nachhaltigkeit. Gut gewollt ist nicht unbedingt auch gut gekonnt.
Es gibt also noch sehr viel zu diskutieren. Und die Frage, was das Ganze denn bringen soll, ist eine der spannendsten. Vielleicht gehe ich am Montag ja doch noch mal zu dem Stammtisch...
10 comments
Anke said:
Ich nehme hier mal die prinzipielle Ebene, die immer dahintersteht:
"Forever Baby" - "Hotel Mama"? - Einkommen ohne Leistung? Lebenslänglich? - Und wer bezahlt?
Voraussetzung: "Jeder Mensch WILL arbeiten." (meint: freiwillig dazuverdienen bzw. gesellschaftlich nützlich sein) - ist das realistisch? Ist der Mensch wirklich so?
York replied to Anke:
Menschen, die arbeiten, weil sie sonst ihre Existenz verlieren, werden immer schlechte Arbeit machen, weil ihr einziges Interesse dem gilt, nicht ihre Existenz zu verlieren. Menschen hingegen, deren Existenz anderweitig gesichert ist (die von ihrer momentanen Arbeit also nicht existentiell abhängen -- aus welchen Gründen auch immer), werden stets bessere Arbeit machen, weil sie sich frei von Existenzängsten auf ihre Arbeit konzentrieren können. Wenn man nun (z.B. durch ein staatliches Grundeinkommen in vom Erwerbsarbeitszwang emanzipierender Höhe) allen Menschen eine solche anderweitig gesicherte Existenz zugesteht, dann werden es sich plötzlich alle Menschen leisten können, einer sinnstiftenden Tätigkeit nachzugehen. Dass das einiges verändert, ist klar. Viele Menschen werden nun andere Dinge arbeiten -- und vor allen Dingen werden sie an ihre Arbeit anders herangehen.
Die Frage, die Du stellst, ist, ob der gesellschaftliche Nutzen dadurch sinkt. Ich meine, dass er steigt. Bedenke, dass sich inbesondere Erwerbsarbeit über die vergangenen Generationen massiv verändert hat und auch über die zukünftigen weiter massiv verändern wird. Von der Produktion über den Dienstleistungssektor bis hin zur Kultur und Wasweißichnoch wird es immer mehr so werden, dass die meisten der gesellschaftlich relevanten Arbeiten (volkswirtschaftliche Wertschöpfung, der Care-Bereich, usw.) nicht erzwungen werden können -- sondern nur ermöglicht.
Diese Erkenntnis alleine ist natürlich noch kein Argument für ein Grundeinkommen für alle, insbesondere nicht für eines in vom Erwerbsarbeitszwang emanzipierender Höhe, zumal es in der Vergangenheit andere Mechanismen gab, die Existenzsicherung aller zu gewährleisten: Vollbeschäftigung durch Wachstum mit gut bezahlten Jobs oder unbezahlten, aber gut versorgten Jobs für alle. Die Frauen hatten ihre Stellung in einer lebenslangen Ehe, die Männer in einem einzigen festen Job bis zur Rente, das Land war im Wiederaufbau, die Welt im kalten Krieg, und mit der Frühverrentung gab's auch ein Grundeinkommen -- als Ruhigstellungsprämie. Dass diese Welt heute unwiderbringlich nicht mehr existiert, brauche ich wohl nicht zu belegen.
Ein emanzipatorisches Grundeinkommen, dass die Existenzsicherung aller wiederherstellt, löst dieses Problem und wirkt somit als Aktivierungsprämie. "Ist der Mensch wirklich so?" fragst Du? Ja, er ist!
Der wichtigste Gedanke von dem man sich lösen muss, ist der, dass die Gesellschaft auf Erwerbsarbeit beruht und somit diejenigen, die nicht erwerbsarbeiten, auf Kosten derjenigen leben, die es tun. Das ist schlichtweg blanker Unsinn. Allerdings würden wir mit dem Thema auf noch wieder eine andere, noch grundsätzlichere, Diskussionsebene wechseln. Mit dieser Ebene habe ich mich in den vergangenen Tagen erstmals beschäftigt und dazu u.a. die Bücher "Bürger, ohne Arbeit" (Wolfgang Engler, 2005) und "Haben oder Sein" (Erich Fromm, 1976) gelesen. Darin geht es u.a. darum, dass das Konzept "Erwerbsarbeit" dringend ganz aus dem Begriff "Bürger" entfernt werden müsste. Die Autoren sind Utopisten, die für eine radikale Neugestaltung der Gesellschaft plädieren, aber ihre Texte geben dennoch die gedanklichen Inspirationen einzusehen, warum ein emanzipatorisches Grundeinkommen heute auch eine realpolitisch gebotene Forderung ist -- jedenfalls sobald die realpolitischen Ziele verstanden wurden. Das ist dann die (zwei Stufen niedrigere) Diskussionsebene meines Blogeintrags oben.
Was man aus den im vorigen Absatz genannten Büchern aber auch lernen kann, ist das Bemühungen einer ernsthaften Reform zu allen Zeiten als Prozess irgendwann stecken blieben und gewaltige Rückschläge hinsichtlich ihrer Intention einstecken mussten. Über die Generationen tauchen Ideen immer wieder auf, werden immer wieder unterdrückt, und kehren in veränderter Form irgenwann wieder. Die Idee des emanzipatorischen Grundeinkommens ist uralt und überall in der Welt zigmal dagewesen. Und genau jetzt ist die Zeit, die Diskussion eine Runde weiterzudrehen. Denn genau jetzt sind wir mitten in einem einem gewaltigen gesellschaftlichen Umbruch historischer Dimension. Wann wenn nicht jetzt ist die Zeit zu reflektieren, woher wir kommen und wohin wir eigentlich gehen wollen. Und warum...
Anke replied to :
Vielleicht gibt es bis dahin ja auch noch andere interessante Stellungnahmen...
Anke said:
Ein Terminausfall führte dazu, daß meine Gehirnrotationen schneller laufen und zu Papier - äh... Tastatur gebracht werden konnten.
Erstmal vielen Dank, daß Du bereit bist, meine skizzierte Ebene zu verstehen und dort zu diskutieren - das habe ich leider schon anders erlebt.
Zur Klarstellung: Ich bin skeptisch, aber keine vehemente Gegnerin - eher eine Suchende.
Mein erster skeptischer Punkt - vielleicht sogar der Hauptpunkt - manifestiert sich an einem Satz, wie Deinem ersten (was für mich bedeutet, daß Du meinen Kernpunkt sofort erfaßt hast!):
"Menschen, die arbeiten, weil sie sonst ihre Existenz verlieren, werden immer schlechte Arbeit machen, weil ihr einziges Interesse dem gilt, nicht ihre Existenz zu verlieren."
In dem, was Du weiter schreibst, kann ich Dir gut folgen... nur: Es geht mir um eben diesen Basisgedanken.... diesen - ja: existenziellen!
Vielleicht wird es klarer, wenn ich noch eine Ebene in die Tiefe gehe:
Jedes Lebenwesen muß Energie aufwenden, um zu überleben - zu existieren. Das ist quasi die Qual, mit der wir geboren werden. Jede Pflanze, jedes Tier, auch der Mensch.
Der Schutz der Natur währt unterschiedlich lang: Ein Samen benötigt Energie, um zu keimen, jedes Küken muß sich bücken, um zu picken. In der Evolution gab dann zunächst die Mutter Schutz, später die Gruppe. Aber immer gilt irgendwann: Jetzt mußt Du selbst was tun, um Deine Existenz zu sichern! Selbst Nahrung suchen - jagen - kämpfen.
Ist dieses Naturgesetz heute durchbrochen?
An dieser Stelle werde ich oft in meiner Darstellung unterbrochen - unter Bruch der Diskussionsebene:
Der Mensch sei ja so weit entwickelt, daß das tatsächlich nicht mehr gelte - es sei doch genug Geld da, um alle zu ernähren!
Dieselben Menschen stimmen mir aber zu, daß das gesamte Geldsystem doch nur eine einzige Blase ist - eine Fehlentwicklung - Bankstertum! Ausbeutung der Armen! Ausbeutung der "3. Welt"! ...
JA! DAS IST ES! Und DAS ist das Problem, wie ich es sehe!!
Diese beiden Ebenen zusammenzubringen - bzw. auseinander zu halten - erscheint mir zunehmend schwer in der Diskussion.
Die Grundidee eines GE - so meine Kritik - basiert doch lediglich auf dem Irrglauben, wir seien "reich" und könnten es uns leisten... auf Nachfrage: Ja - sogar für die Hungernden in Afrika würde es reichen!
Halllo?
Wenn die Blase platzt - dann reicht es hier für niemanden - die Seiten der Verschwörungstheortiker haben in diesem Punkt recht! Dann hilft aber kein Gold - nein! Nur noch das Survival-Kit! Und ein Schrebergarten vielleicht. Ja.
Und dort wächst kein GE. Da wachsen Kartoffeln (wenn ich welche eingesetzt habe) - und die muß ich - JA!! - ERNTEN! Das ist Arbeit. Vielleicht schlechte Arbeit... um nicht die Existenz zu verlieren! (s.o.!)
Was ich sagen will:
Ich habe die Befürchtung, daß die GE-Idee nur ein (ich provoziere bewußt) "Auswuchs" unseres inzwischen als selbstverständlich hingenommenen angeblichen "Reichtums" ist.
Daß ein Götz Werner das propagiert, paßt: Konsumorientierte Unternehmen benötigen den Konsumenten. Schenkt ihnen Geld - dann kaufen die bei mir! Auch er nur ein Kind des Systems...
Ich glaube nicht, daß sich jemand hier in den Industrienationen wirklich vorstellen kann - auch ich nicht - wie weit runter wir hier kommen müßten, um das gleiche Menschenrecht - das Überlebensrecht, EXISTENZrecht, um beim Thema zu bleiben - für alle Menschen auf dieser Welt (und alles andere GE-Gerechtigkeitsgerede nur "für uns" würde ich nur sehr schwer akzeptieren) durchzusetzen.
Unser "Reichtum" ist 1. Ausbeutung und 2. eine Blase (reiner Glaubens-/Vertrauensfaktor).
Ja - ich lebe auch diese Ausbeutung. Noch.
Vielleicht steige ich aus. Der Traum ist da.
Die Möglichkeit ist bei mir sogar besser. Vielleicht bekomme ich auch Ruhigstellungsprämie.
Im vollen Bewußtsein, daß auch die (wie schon mein Arbeitslohn) letztlich aus Ausbeutung und Glauben beruht.
Ich bin auch nur ein Kind dieser Gesellschaft.
Zu Deinen weiteren, wirklich interessanten Argumenten möchte ich an dieser Stelle zunächst keine Stellung nehmen, auch wenn mir dazu dies oder das einfällt.
Mir ist aber zunächst mein Kernpunkt wichtiger, für mich die Basis der gesamten Idee.
Erst, wenn wir einen Konsens dazu finden könnten wie z.B.:
Ausbeutung ist Fakt - daran können wir nix ändern, das Leben ist so, schon im Pflanzen- und Tierreich.
und
Blasen/Glaube/Vertrauen ist ein menschlicher Faktor, der eben das Wesen des Menschen dokumentiert. Darum ist es richtig, auf dieser Basis weiter aufzubauen. Z.B. ein GE...
Aber da bin ich mit mir selbst noch nicht klar...
York replied to Anke:
Nur ganz kurz dies: Ich bin ebenfalls schon Menschen begegnet, die glaubten, es sei genügend "Reichtum" vorhanden, also "her damit". Mit solchen Leuten ernsthaft über Grundeinkommen zu diskutieren ist meiner Erfahrung nach sehr schwer, zumal sie sich zusätzlich meist auch noch allen anderen Aspekten des Themas verschließen. Diese Leute wollen i.d.R. bloß Geld haben. Geld, das es vermeintlich nur umzuverteilen gilt.
Und dies: Werner Rätz von der Attac-AG Genug für Alle hat in einem Vortrag in Bremen zum Thema Grundeinkommen mal gesagt, dass Geld nur einen Wert hat, "weil wir alle glauben, dass wir uns davon etwas kaufen können. Wenn wir aufhören, das zu glauben, können wir das auch nicht mehr" (aus dem Gedächtnis zitiert). Kurz: Geld repräsentiere keinen Wert, sondern Vertrauen. Dass wissen also auch die Propagandisten von Grundeinkommens-Ansätzen (zumindest einige).
Und das: Götz Werner propagiert eigentlich kein Grundeinkommen, sondern Niedriglöhne für alle durch ein pauschales staatliches Kombilohnmodell und eine vollständige Verlagerung der Steuereinnahmen von Arbeit auf Endverbrauchskonsum. Dass das lediglich Konsumorientierung, Kapitalkonzentration und Ausbeutung in der Gesellschaft noch eine Stufe extremer dreht, ist auch mein Verständnis. Seine anthroposophische Religion steht für mich orthogonal dazu. Vielleicht ist es diese, die viele Leute blendet.
Und noch das: Ob Reichtum immer bloß eine Blase ist, weiß ich nicht. Jedenfalls ist monetärer Reichtum meist Reichtum in Vertrauen, nicht Reichtum in Werten. Vertrauen in wirtschaftliches Wachstum. Aber Wachstum braucht den Zusammenbruch. Und vor dem stehen wir in der westlichen Welt. Es wächst dann später woanders wieder. Blasen entstehen, wenn das Geldsystem verbogen wird, um irgendwo den Zusammenbruch des Wachstums im Wirtschaftssystem zu verzögern. Stichwort u.a. Fiatgeld. Vielleicht ist das unausweichlich, und es endet also tatsächlich alles Vertrauen irgendwann in Blasen. Keine Ahnung. Ich bin kein Volkswirtschaftler.
Grundeinkommen ist für mich ein Thema, das Fragen stellt. Und das sind für mich gar nicht mal vordergründig die Fragen zum Geldsystem, zum Wirtschaftssystem und zur Gesellschaftsordnung. Denn diese stellen sich auch ganz ohne Grundeinkommens-Debatte. Es sind vielmehr die Fragen grundsätzlicherer Natur. Früher war es z.B. undenkbar, dass der Adel oder die Grundbesitzenden Steuern zahlen. Diese waren dem Pöbel abzuringen, gegen den mit aller Härte vorzugehen sei. Wenn dieser "Pöbel" (z.B. die Jugend, auf deren Kosten der laufende neoliberale Kahlschlag ja vor allen Dingen geht) heute in England die Plasmabildschirme aus den Läden plündert, dann wird diese Konsumkritik, die es defacto ist, einfach als kriminell abgetan und im Viertelstundentakt abgeurteilt. Darum geht es beim Grundeinkommen! Um die gesellschaftliche Macht für das Volk. Um die Abschaffung des Adels. Hört man den britischen Premierminister im Fernsehen, so wir einem klar, wie weit weg noch die Briten schon im Geiste von einem Grundeinkommen sind. In der Ecke ist aktuell die Debatte gefordert. Nicht beim Geld.
Grundeinkommen berührt alle Aspekte von Arbeitsalltag und Lebensalltag in unserem westlichen Luxus bis hin zu Krieg und Hunger in der restlichen Welt. Und auch die Beziehung der Länder untereinander. Es ist eine Debatte, die zusätzlich zur Debatte um Ausbeutung und Blasen zu führen ist. Es ist kein Thema, das ein Kind von Ausbeutung und Blasen ist. Götz Werner, ja, der ist ein Kind dieses Systems, und die Allesumverteilenwoller sind es auch. Wir sollten es aber nicht zulassen, dass diese Leute alleine das Thema dominieren! Die reiten auf einer ganz anders gemeinten Idee für ihre eigenen Zwecke herum.
Dein Text ist es wert, noch gründlicher gelesen und reflektiert zu werden, als ich das im Moment leisten kann. Auf den ersten Blick glaube ich, dass Du ein Bedenken ansprichst, das ich teile -- ohne das momentan halbwegs griffig in eigene Worte fassen zu können. Vielleicht sind wir uns beide "selbst noch nicht klar...". Auch da stehen wir aber nicht allein. Die spannendsten Diskussionen hatte ich mit Leuten, die am Thema interessiert sind, aber "aus dem Bauch heraus" aus diversen Gründen zugleich skeptisch waren, ob das überhaupt geht. Genau das bin ich nämlich selber. Skeptisch auf allen Ebenen. Trotzdem: Das Thema stellt die richtigen Fragen zur richtigen Zeit: Warum haben wir kein Grundeinkommen? Was wäre, wenn wir eines hätten? Das Thema streift fast alle Fragen unserer Zeit. Manche aktuellen Bücher mit dem Begriff "Grundeinkommen" im Titel, sind daher auch bloß ein Streifzug durch die aktuellen Themen unserer Gesellschaft. Aber das ist ganz charakteristisch für die aktuelle Debatte. Sie ist auch eine riesengroße Projektionsfläche...
Anke replied to :
Alles andere ist für mich noch immer ein Kind von Ausbeutung und Blasen...
Ich verstehe ja den Grundgedanken, aber bei mir kommt der über 10 Euro nicht hinaus (so in der Größenordnung)...
Sorry...
York replied to :
Weiter eingehen möchte ich darauf aber nicht, denn mir ist das zu lösungsorientiert gedacht, zu weit weg von meinen Kompetenzen und ein Stück weit auch am Problem vorbei. Mein Bestreben ist, die Debatte -- und die unterschiedlichen Motivationen dahinter -- für mich zu sortieren, um mit dem erlangten Verständnis andere inspirieren zu können. Die volkswirtschaftlichen Effekte sollen Volkswirte untersuchen und darstellen, die das mit ihrem entsprechenden Erfahrungshintergrund auch leisten können. U.a. in Herdentrieb (Zeit online) ist sowas z.B. vor ein paar Tagen versucht worden. Für mich spannend sind dort wieder vor allen Dingen die Kommentare.
Mir macht es aber auch keinen Spaß, immer nur in dieser einen Ecke zu diskutieren. Mir geht es um das Denken, um die Weltbilder, die den Menschen in den Knochen sitzen, um die Auswirkungen auf die Lebensgestaltung der Einzelnen und die Organisation der Gesellschaft, wie sie z.B. Antje Schrupp in ihrem Buchbeitrag thematisiert. Ich möchte verstehen, wie die Dinge sind und warum sie so sind, wie sie stattdessen sein könnten, wie man dort hinkommen könnte -- und vor allen Dingen wie man es erreicht, auf dem Weg dahin das Ziel nicht zu vergessen.
Anke replied to :
Ich suche nach einer Lösung - Du nicht?
Das Grundproblem zu delegieren ist mir in einer solchen Diskussion leider schon oft passiert.
Ich habe dann das Gefühl, als wenn ich in einem Supermarkt die unterste Dose des Erbsensuppen-Werbeturms wegziehe...
Ich mag mir die Kommentare jetzt nicht alle durchlesen beim Herdentrieb - für mich ist alleine der Ansatz "BIP" im Artikel schon äußerst unbefriedigend, weil er für mich eben auf DER BLASE aufbaut.
Interessanter finde ich da schon den Ansatz von Antje Schrupp, wenn sie fordert:
"wird vorgeschlagen, das Grundeinkommen nicht als ein Recht zu verstehen, auf das jeder Mensch »bedingungslos« einen Anspruch hat, sondern als ein Geschenk von uns allen an uns alle. Ein Geschenk, das symbolisch darauf fußt, was ausnahmslos jeder Mensch bereits bekommen hat: Das Geschenk des Lebens durch die Mutter. So wie wir jeden Neuankömmling auf der Welt begrüßen, ohne dafür irgend eine Gegenleistung zu erwarten, wie wir versprechen, ihn oder sie mit Nahrung, Kleidung, Liebe, Zuwendung und notwendiger Hilfe zu versorgen (und Politik ist letztlich nichts anderes als das Bemühen, dieses Versprechen einzulösen), ebenso wäre es sinnvoll und notwendig, den gemeinsam erwirtschafteten gesellschaftlichen Reichtum auf eine Weise zu verteilen, die allen Menschen, unabhängig von jeder Gegenleistung, genug Geld zum Leben gibt."
Das deckt sich mit meinen provokanten Anmerkungen oben:
""Forever Baby" - "Hotel Mama"?"
Antje Schrupp nimmt genau diesen Gedanken auf - und sagt überzeugt JA dazu.
Wenn sie weiter schreibt:
" Wer sich selbst als Beschenkter sieht, als willkommen und geschätzt und geliebt, wird nicht nur dankbar sein und Mittel und Wege finden, um diejenigen, die diese Sorgearbeiten leisten, angemessen wertzuschätzen. Er wird langfristig auch selbst bereit sein, einen eigenen Beitrag zum guten Zusammenleben aller zu leisten."
... dann sehe ich einen Ansatz in der Diskussion, der meinem gesamtgesellschaftlichen Aspekt Rechnung trägt, und an dem ich weiterarbeiten kann!
Vielen Dank für diesen Link!!!
Bliebe nun meine Frage 2 von oben zu klären, die Antje hier positiv voraussetzt:
Voraussetzung: "Jeder Mensch WILL arbeiten." (meint: freiwillig dazuverdienen bzw. gesellschaftlich nützlich sein) - ist das realistisch? Ist der Mensch wirklich so?
Die Frage ist nicht rhethorisch gemeint, sondern ernst - wenngleich skeptisch...
York replied to :
In meinem ursprünglichen Blogeintrag oben ging es darum, ob ich nochmal zu dem Bremerhavener Stammtisch Grundeinkommen hingehen sollte oder nicht. Vielleicht ist die Auflösung ja interessant: Ich war nicht. Witzigerweise erfuhr ich hinterher, dass die Teilnehmer zum ersten Mal über einen konkreten Text diskutiert hatten, der ausgedruckt mitgebracht wurde: Und es war ausgerechnet dieser mein obiger Blogeintrag. (Ohne die Kommentare, denn damals gab es die noch nicht.) Ergebnisse, also wie die Diskussion verlief und worum es inhaltlich ging, habe ich nicht erfahren. Ich hätte man hingehen sollen -- aber ich konnte dann auch gar nicht. (Ich hatte bis gegen 20 Uhr an meinem Erwerbsarbeitsplatz in Bremen zu tun. Manchmal ist das so und geht dann vor. Ich mache die Arbeit dort sehr gerne.) Schlimm ist das aber nicht. Ich habe schon so oft über Grundeinkommen geschrieben, dass genügend weitere Texte von mir da sind -- für den unwahrscheinlichen Fall, dass nochmal jemand einen Text von mir diskutieren möchte...
Anke replied to :
Fragen ohne Antwort finde ich immer so... unbefriedigend. Ich würde da schon wenigstens in der Diskussion mit mir selbst zu einer Antwort kommen...