XII.
Die Geburtstagswünsche und Umarmungen brachte Delamotte schnell hinter sich, ihm war an diesem Tag nicht wirklich zum Feiern zumute. Er betrat das Šumadija diesmal nicht alleine, sondern im Kreis der Familie. Seine Eltern, Kata und Opa Jacko leisteten ihm Gesellschaft, er wurde dreiunddreißig und fühlte sich um einiges älter. Rasch nahm er an dem reservierten Tisch Platz.
Kata hatte er bereits auf dem Weg zum Marktplatz getroffen. Sie hatte vor der Katholischen Grundschule geparkt, auf der alle drei Geschwister das kleine Einmaleins gelernt hatten, das Alphabet und das Stillsitzen. Letzteres war vor allem der kleinen Kata zu Anfang schwergefallen. Aber das wäre auch auf jeder anderen Grundschule so gewesen, und die Schule in der Friedrichstraße hatte zur Tradition sowohl der Delamottes als auch der Morenhovens gehört. Auch das Bischöfliche Gymnasium hatte bereits ihr Vater besuchen können, dank der Fürsprache seines Lehrers Dr. Kohn und der Unterstützung durch eine städtische Stiftung, die Johannes Baptist Morenhoven in seiner Zeit als Bürgermeister ins Leben gerufen hatte. Kein Wunder, dass auch die Kinder von Heinz-Paul und Hildegard Delamotte dort das Abitur gemacht hatten. Zum Studium waren dann aber sowohl Hardy als auch Kata in die Ferne gezogen. Lediglich Markus hatte die von Onkel Jean empfohlene Alte Universität besucht, bis ihn dann das Stipendium in Amerika hatte frei werden lassen.
Bojana brachte den bereits im Vorfeld bestellten Sekt an den Tisch, sie stießen auf das Geburtstagskind an. Über den ganzen Tag verteilt hatte Delamotte einige Anrufe entgegengenommen, seine Freunde hatten allesamt Verständnis dafür, dass eine größere Feier im Freundeskreis für ihn noch nicht infrage kam. „Erst wenn ich sicher bin, dass wir den Uhu-Fall wirklich gelöst haben“, hatte er ihnen erklärt. Auch Claudio hatte die Erklärung geschluckt – ganz sicher war er sich also auch nicht, was die Täterschaft Brückners anging.
„Wieder ein Jahr reifer“, sagte Opa Jacko. „Na, schön wär’s“, erwiderte Delamotte – je älter er sich fühlte, desto mehr fragte er sich, wann das mit der Reife denn endlich eintreten würde. In seinem Alter hatte sein Großvater bereits einen Krieg überlebt, die örtliche Sozialdemokratie nach Diktatur und Krieg wieder mit aufgebaut und drei Kinder großgezogen. Nun gut, großgezogen vielleicht noch nicht, aber Delamotte hatte keine Zweifel, dass sein Vater und dessen Geschwister bereits im Kindesalter hatten erahnen lassen, was in ihnen steckte.
Die Bestellungen wurden aufgenommen, Delamotte entschied sich für mit Hackfleisch gefüllte Sarma. „Beim letzten Mal war Sonja noch mit dabei“, erwähnte seine Mutter.
Er sah, dass Kata zu einer vermutlich deutlichen Antwort ansetzen wollte. Dies war allerdings seine Aufgabe, wie ihm in jüngster Zeit immer klarer wurde. „Und zum Glück war das dann auch wirklich mein letzter Geburtstag mit ihr“, sagte er. Seine Schwester grinste breit und zwinkerte ihm zu. Der Rest des Abends verlief harmonisch, sie sprachen über leichtere Themen und genossen das Beisammensein. Niemand sprach ihn auf Brückner oder andere Aspekte des Falles an, worüber Delamotte sehr froh war.
Nachdem sie die geleerten Teller abgeräumt hatte, erschien Bojana abermals am Tisch und fragte: „Möchte jemand ein Dessert?“ Als niemand sich meldete, blickte sie erstaunt auf Delamotte: „Was ist mit dir los, Marko? Kein Palatschinken? Kein Baklava?“
Er klopfte auf seinen Bauch und erwiderte: „Nein danke, Bojana, ich muss auf mein Gewicht aufpassen.“
Die attraktive Blondine, selbst mit nahezu perfekten Proportionen gesegnet, verdrehte die Augen: „Warum das denn? An einem Mann muss doch was dran sein.“
Als sie später den Sliwowitz an den Tisch brachte, sprach sie ihn nochmal an: „Mein Cousin sollte ein warnendes Beispiel für dich sein, Marko. Der ist so dünn – jede Frau, die ihn sieht, möchte ihn erst einmal mästen.“ Delamotte musste lachen – orthodoxen Frauen schien männlicher Gewichtszuwachs ein Herzensbedürfnis zu sein.
„Auf Wiedersehen, Herr Osterfeld. Und bitte machen Sie bei Marion noch zwei neue Termine.“ Während der Patient sich nach rechts zum Empfang wandte, ging Simon rasch nach links, und dann durch die Glastür am Ende des Ganges auf die Terrasse. Er brauchte jetzt eine Zigarette.
Herr Osterfeld. Die meisten seiner Patienten duzte Simon und sprach sie mit dem Vornamen an. Bei ihm hatte er sich das nie getraut. Das lag nicht nur am Alter – Herr Osterfeld hatte etwas Respekt heischendes an sich. Simon hatte dies schon im ersten Gespräch festgestellt, und es hatte ihn von Anfang an etwas eingeschüchtert. Er hatte sogar einen Moment lang überlegt zu fragen, ob jemand anderes diesen Patienten übernehmen konnte. Aber das hätte nicht gut ausgesehen. Schließlich war es seine Aufgabe, Menschen zu helfen, nicht sie abzulehnen.
Die letzten Sitzungen waren auch deutlich besser verlaufen, als er zu Beginn der Therapie befürchtet hatte. Herr Osterfeld war, besonders die vorangegangenen beiden Male, viel gesprächiger gewesen, war für seine Verhältnisse schon fast aufgetaut. Und je mehr Simon aus ihm herausbekam, desto besser verstand er die Tragik im Leben dieses Mannes. Auch wenn die Schwierigkeiten, in denen Herr Osterfeld steckte, formell sicherlich ihren Ursprung in seinem eigenen Handeln hatten, so war doch die Getriebenheit des Patienten nicht zu übersehen.
Simon hatte sich fast schon auf das heutige Gespräch gefreut. Doch jetzt, da er im strahlenden Sonnenschein von der Terrasse aus in Richtung Fluss blickte, musste er akzeptieren, dass diese Freude voreilig gewesen war. Der Patient hatte wieder wortkarg, abweisend und fahrig gewirkt. Ein richtiger Rückschritt, wie Simon empfand. Dabei war es doch eigentlich eine schöne Zeit. Das Wetter passte endlich zum Kalender, das Leben fand zum großen Teil im Freien statt, und auch die schreckliche Mordserie, die Marßen so lange in Atem gehalten hatte, war endlich zu Ende gegangen. Nur Herr Osterfeld schien das alles bestenfalls wie durch Milchglas wahrzunehmen. Simon bedauerte ihn.
Markus Delamotte nahm auf einer der Bänke Platz, die auf dem für Fußgänger reservierten Mittelstück des Boulevards zum Verweilen einluden. In den vergangenen Jahren hatte man die einstmals wichtige Verkehrsader zurückgebaut, den Mittelteil in einen Raum der Erholung und Begegnung umgewandelt, vergleichbar ähnlichen Boulevards anderswo in Europa. Und tatsächlich war diese Kombinationen aus Spazierwegen, kleinen Grünanlagen und Spielplätzen, in denen das Rauschen und Plätschern der vielen Brunnen den Lärm der nahen Straße zumindest manchmal übertönte, den Stadtplanern gut gelungen. Dass der durch die Maßnahme eingeschränkte Autoverkehr sich jetzt irgendwo anders langquälen musste, war eine andere Geschichte.
Delamotte hatte wohlwissend im Parkhaus der Rive Gauche Arkaden geparkt, auf der Galgenwardter Seite des Boulevards. In einem ihm noch von früher bekannten Café an der Ecke der Arnheimer Straße hatte er einen Coffee To Go gekauft – das tat er eher selten, aber bei Tante Elli, wie die Betreiberin des Cafés in der Umgebung genannt wurde, machte er gerne eine Ausnahme. Nun saß er auf dieser Bank, dem Wetter entsprechend in T-Shirt und knielanger Jeans gekleidet, nippte an dem noch heißen Kaffee und bereitete sich innerlich auf die nächsten Schritte vor.
Bereits im letzten Sommer war Delamotte recht häufig an diesem Teil des Boulevards unterwegs gewesen. Besser gesagt: er war recht häufig hierher geflohen, immer dann, wenn er wieder mal mit Sonja gestritten hatte. Oder eher: sie mit ihm. Ja, diese Formulierung passte wohl eindeutig besser, so weit war er mit der Aufarbeitung der letzten Jahre bereits gekommen. Dennoch war ihm der Entschluss, diesen schönen Tag ausgerechnet hier zu verbringen, nicht leicht gefallen. Direkt jenseits der Fahrspur, deren Geräusche er hinter sich vernahm, lag Alt-Marßen, lag genauer gesagt das Mühlenviertel. Mehr als vier Jahre hatte er dort verbracht. Ein großer Teil dieser Zeit war nicht unbedingt glücklich gewesen.
Delamotte trank den Kaffee aus, atmete einmal tief durch und stand auf. An der nächstgelegenen Ampel überquerte er die Fahrbahn und lief ein Stück den Boulevard entlang, bis zum Karlsplatz. Hier hatte früher einmal eines der vielen Stadttore gestanden, von denen nur vier übrig geblieben waren. Er hielt sich nach links, und erreichte nach einigen Minuten den Kornmarkt, einen der großen Plätze von Alt-Marßen, und Mittelpunkt des Mühlenviertels. Die vielen am Kornmarkt liegenden Giebelhäuser gaben dem Platz ein malerisches, mittelalterliches Gepränge.
Eine Touristengruppe, offenkundig Passagiere eines Flusskreuzfahrtschiffes, wurde über den Platz geführt. Die meisten Mitglieder der Gruppe hatten ihre Kameras griffbereit. Delamotte wunderte sich, ob die Fremdenführer die Besucher auch darüber informierten, dass von den meisten der Häuser nur die Fassade noch originalgetreu war, oder zumindest dem Original nachgebildet. Manche der Gebäude waren im Krieg zerstört und danach durch modernere Häuser ersetzt worden. In den neunziger Jahren hatte die Stadt dann viel Geld bereitgestellt, um diese Bausünden zumindest kosmetisch zu korrigieren. Andere Häuser hatte man in den Jahrzehnten zwischen Nachkriegszeit und städtebaulichem Nostalgietrip gründlich entkernt, aber zumindest die äußere Hülle stehen gelassen. Nun, zu Beginn des 21. Jahrhunderts, sah das Ensemble Kornmarkt, wie es die Stadtgewaltigen gerne nannten, tatsächlich wieder stimmig aus.
Den Platz dominierte das Haus Grothmann, vor langer Zeit Sitz einer der die Stadt vom dreizehnten bis zum fünfzehnten Jahrhundert dominierenden Patrizierfamilien. Konkurrenz erhielt es nur durch die an der schmalen Seite des Platzes gelegene Sankt-Medardus-Kirche, sowie das dem Patrizierhaus trotzig gegenüber gesetzte Haus der Bruderschaft vom Kornmarkt. Das Bruderschaftshaus, wie es im Viertel genannt wurde, hatte den Krieg nahezu unbeschadet überstanden, und beherbergte heute ein historisches Museum, das der Epoche zwischen dem Aufstand der Bruderschaften und der Franzosenzeit gewidmet war.
Im danebengelegenen Brauhaus Zum Alten Jakobiner hatten Delamotte und Sonja sich oft mit Marino und seinen jeweils amtierenden Freundinnen getroffen. Wenn sie sich am Robert-Blum-Platz zusammengefunden hatten, war das in der Nähe gelegene italienische Restaurant Il Cavaliere ihr Ziel gewesen. Im Rückblick auf diese Zeiten war Delamotte sich unsicher, ob Sonja jemals aus Freude am Beisammensein mitgekommen war, oder um ihn unter Kontrolle zu halten. Er tendierte zu Letzterem. Bereits nach wenigen Begegnungen hatte sie Claudio mit seinen wechselnden Partnerschaften als einen möglichen schlechten Einfluss auf Delamotte ausgemacht. Er hatte solche Bemerkungen mit der ihm eigenen stoischen Art ignoriert, zumindest an der Oberfläche. An ihm genagt hatten sie schon. Den Kontakt zu seinen alten Freunden Holger und Mischa hatte Sonja ebenfalls zu begrenzen versucht. Lediglich Ali hatte sie weitgehend akzeptiert – wie Delamotte in einer sehr hässlichen Auseinandersetzung gegen Ende ihrer Beziehung gelernt hatte wohl deshalb, weil sie Ali fälschlicherweise für schwul gehalten hatte.
Delamotte überquerte den Platz und folgte der Straße Zum Blaubach. Wie oft war er früher hier und in den Nebenstraßen umhergefahren, weil es trotz Anwohner-Parkausweis schwer gewesen war, einen freien Stellplatz zu finden. Ja, sein neues Zuhause in Bliesfeld hatte viele Vorteile. Vor einem kleinen Grillimbiss namens Medawar, dessen Besitzer ein Freund und Landsmann von Ali war, drehte sich Delamotte nach rechts und blickte über die Straße. Dort stand das Haus mit der Nummer 25. Er war innerlich überraschend gefasst. Sein Puls war völlig normal. Das Mühlenviertel, dachte er sich, war eigentlich sehr schön. Sehr teuer, aber auch sehr schön. Das, was ihm in jüngster Zeit manches Mal Beklemmungen verursacht hatte, mit Bezug auf seine Zeit im Mühlenviertel, war nicht das Viertel gewesen. Ganz bestimmt nicht.
Für einen Toten fühlte er sich eigentlich ziemlich fidel. Nur einen kurzen Moment lang hatte er überlegt, die Toterklärung in den Medien zu nutzen, um abzutauchen. Aber diesen Gedanken hatte er rasch verworfen. Dass dieser ehemalige Mitarbeiter der Stasi für seine Arbeiten nicht infrage kam, müsste den Ermittlern eigentlich klar sein. Die Tatwaffe konnten sie bei diesem Brückner jedenfalls nicht gefunden haben, denn die lag gerade vor ihm auf dem Schreibtisch. Sanft – liebevoll fast – tätschelte er das gute Stück. Er kannte sich mittlerweile recht gut mit Schusswaffen aus, man konnte ihn schon als Experten bezeichnen. Egal, welche Waffen sie bei Brückner gefunden hatten – dass mit keiner dieser Waffen eines seiner Werke erstellt worden war, konnte der Polizei nicht entgehen. Oder war die Marßener Obrigkeit inzwischen so verzweifelt, dass sie die Öffentlichkeit mit diesem Genossen Brückner ruhigstellen wollte?
Na, die würden sich schon noch wundern. Schließlich hatte er schon eine neue Zielperson im Visier. Und diese keineswegs unattraktive junge Blondine bot ihm bereits nach wenigen Tagen der Observation gleich mehrere Handlungsoptionen an. Eine davon wäre spektakulär, und er überlegte ernsthaft, dieser Option den Vorzug zu geben. Sie war durchaus herausfordernd, ein bekannter früherer Fußballer hätte sie als „nicht unrisikovoll“ bezeichnet. Aber er war sehr zuversichtlich, dass ihm die Umsetzung dieser Handlungsoption gelingen könnte. Und ein Erfolg würde Schockwellen durch die Stadt schicken. Irgendwie war er sich das auch schuldig. Nicht sich selbst, korrigierte er diesen Gedanken. Er schuldete es Malin und den Jungs.
„Vieles von dem, was du sagst, kann ich durchaus nachvollziehen, Markus.“ Pesch lehnte sich in seinem Bürostuhl zurück, seine Worte wirkten durchaus ehrlich, wie Delamotte empfand. „Aber ganz abgesehen davon, dass es nicht mehr unser Fall ist“, fuhr der Hauptkommissar fort, „gibt es eben bei vielen deiner Punkte auch noch andere Ansätze einer Erklärung.“ Die Waffe, mit denen die Opfer erschossen worden waren, hatte Brückner möglicherweise versteckt oder sogar entsorgt. „Kann sein, dass wir, beziehungsweise die Kollegen am Bismarckring, das Ding nie finden“, führte er aus, „stell dir nur mal vor, er hat sie in den Fluss geworfen.“
Auch die Fragen der Art, wie der Uhu auf seine Opfer aufmerksam geworden war, ob und wie lange er sie beobachtet hatte, und wie langfristig seine Planung ausgelegt war, ließen sich nicht eindeutig beantworten. „Ich gebe gerne zu“, erklärte Pesch, „viele deiner Theorien sind in sich sehr stimmig, und sehr überzeugend. Aber es sind eben Theorien. Die Jungs am Bismarckring haben sich auf Brückner festgelegt, und es spricht ja auch manches dafür.“ Er verwies auf das von Delamotte selbst erstellte Täterprofil. Das Alter zum Beispiel passte perfekt, ebenso wie der vermutliche Wohnsitz. „Man weiß zwar immer noch nicht, wo er eigentlich seinen Lebensmittelpunkt hatte“, gab Pesch zu, „aber anhand der Daten seines Kontos dürfte das irgendwo in den östlichen Stadtteilen gewesen sein. Genau wie du vorhergesagt hast.“
Delamotte zuckte leicht zusammen – eine Vorhersage hatte er nicht gemacht, seine Vermutungen basierten schon noch auf einer Analyse der verfügbaren Fakten. Und ein bisschen auch auf Intuition, das musste er zugeben. „Und wir finden bei Brückner auch ein unübersehbares traumatisches Ereignis, das seinen Mordtrieb ausgelöst haben könnte“, schloss Pesch seine Anmerkungen ab.
Delamotte wunderte das alles nicht, er hatte mit dieser Reaktion gerechnet. „Was bei mir den Alarm auslöst, Jakob, ist dieser plötzliche Bruch bei Brückner, wenn er denn der Uhu sein sollte“, sagte er. Pesch blickte ihn interessiert an. „Er war bei der Stasi. Die Sachen, die er nach der Wende so gemacht hat, riechen auch alle ein bisschen nach diesem Stall. Inklusive dieser merkwürdigen Selbständigkeit“, erläuterte der Psychologe. „Dann taucht er vermutlich vor etwa zwei Jahren hier in der Gegend auf“, fuhr er fort, „keiner weiß genau, was er hier getrieben hat. Ich gehe davon aus: wirklich koscher war nichts davon.“ Er holte aus: „Alles das sieht aus nach alten Seilschaften, organisierter Kriminalität oder einer Kombination von beidem. Aber es sieht auf jeden Fall nach bedachtem Handeln aus. Ruhig. Überlegt. Und dann, vielleicht ausgelöst durch den Unfalltod der Tochter, rastet dieser Brückner plötzlich aus? Ist out of control, wie Niclas das genannt hat? Entscheidet sich dafür, reihenweise Leute umzulegen? Das kriege ich nicht wirklich zusammen.“
Pesch nickte, verstand offenbar Delamottes Bedenken, widersprach ihm aber: „Vielleicht hat er schon länger einen Knacks gehabt. Er war Meisterschütze bei Mielke, dann kommt die Wende, sein altes Leben bricht zusammen. Seine Ehe scheitert. Das kann ihm alles nicht gefallen haben.“ Delamotte musste zugeben, dass auch dieser Gedankengang stimmig war. „Dank seiner Kontakte, seiner alten Seilschaften, hält er sich über Wasser“, sagte Pesch, „und zieht dann irgendwann in den Westen. Wird vielleicht, von wem auch immer, in den Westen geschickt.“
„Ins feindliche Ausland“, warf Delamotte ein, „er hat seiner Vermieterin doch was von einem Umzug ins Ausland erzählt. Naja, der Westen, die alte Bundesrepublik – feindliches Ausland haben die Burschen das doch genannt.“
„Sehr guter Hinweis“, lobte Pesch, „er zieht in ein Land, dessen System er hasst. Und dann nimmt dieses Land das Leben seiner Tochter.“ Er überlegte einen Moment: „Und die Menschen, die er dann tötet, sind überwiegend Geschäftsleute und sowas. Repräsentanten des gehassten Wirtschaftssystems.“
„Ich weiß, das kann man alles aus unterschiedlichen Blickwinkeln betrachten“, gab Hauptkommissar Pesch zu, „aber entscheidend ist eben: das ist nicht mehr unser Fall. Die Sache liegt jetzt am Bismarckring.“
„Apropos“, sagte Delamotte, „haben die Kollegen eigentlich inzwischen die Fallakten mal angefordert?“
Pesch schüttelte den Kopf: „Haben sie nicht, und das ist in der Tat ein Punkt, der mich auch wundert. Sie haben alles Material zu Brückner abgeholt. Nicht angefordert, sondern aktiv abgeholt. Die Fallakten dagegen scheinen sie gar nicht zu interessieren.“ Auch in Münster war keine entsprechende Anfrage nach den Unterlagen zum Fall Jensen eingegangen. „Ich habe extra dort angerufen, habe mit diesem Nütting gesprochen“, erklärte er und grinste: „Das ist ja eine merkwürdige Type – so ein richtig steifer Beamter.“
Nur wenige Tage später bog Hans-Jakob Pesch an einem frühen Donnerstagmorgen in die Cestonarostraße ein. Markus Delamotte stand bereits vor einem der großen Apartmenthäuser. Pesch hatte nicht erwartet, den Psychologen des Dezernats so rasch wiederzusehen, schon gar nicht unter diesen Umständen. Er hatte Delamottes Einwände durchaus nachempfinden können, ihm selber waren die Ungereimtheiten bezüglich Brückners ja auch aufgefallen. Aber dass sich die Zweifel so schnell bewahrheiten würden, war schon ein Schock, sogar für den erfahrenen Ermittler.
„Wann und wo?“, fragte Delamotte, sobald er auf dem Beifahrersitz des Mercedes saß.
„Gestern Abend, es muss gegen neun Uhr gewesen sein“, antwortete Pesch, „kurz vor Altenstein, mitten auf der Landstraße.“
„Wie das denn? Mitten auf der Straße?“, fragte der Psychologe.
Pesch erklärte es ihm: „Offenbar hat der Uhu die Frau angehalten, vermutlich einen medizinischen Notfall vorgetäuscht, irgendetwas in der Art. Die junge Frau ist Krankenschwester.“ Er korrigierte sich: „War Krankenschwester.“ An der Auffahrt Baassem-Ost lenkte er den Wagen auf den Autobahnring.
„Warum haben wir so spät davon erfahren?“, wollte Delamotte wissen.
„Haben wir nicht“, sagte Pesch, „Jutta und ich waren bereits kurz nach zehn am Tatort. Als Doc Wittmann uns sagte, alles sähe aus wie ein weiterer Mord des Uhu, haben wir am Bismarckring Bescheid gegeben. Die haben auch kurzzeitig übernommen. Als ihre Ballistikexperten dann sagten, die Kugel passe zu denen der anderen Fälle, haben sie die Ermittlungen rasch wieder an uns übergeben.“
„Und was ist mit Brückner?“, fragte Delamotte.
„Das bleibt ihr Fall“, erwiderte Pesch, „aber da Brückner nun nachweislich nicht der Uhu sein kann, haben sie den bescheidenen Rest der Ermittlung dankend an uns zurückgegeben.“
Delamotte schüttelte den Kopf. „Vielleicht könnten wir ihnen die Idee verkaufen, die Uhu-Morde gingen auf das Konto einer alten Stasi-Seilschaft, von der Brückner nur ein Teil war“, schlug er vor.
Erst sein Augenzwinkern machte Pesch klar, dass der Psychologe diesen Vorschlag nicht ernst meinte. „Das könnte dann sogar erklären, warum der Brückner, der in Aachen seine Post abholte, so gar keine Ähnlichkeit mit dem Brückner hatte, den wir zuletzt tot in dieser Grillhütte gefunden haben“, griff er die Gedankenspielerei auf.
In der Ferne konnte Delamotte bereits die Umrisse von Burg Altenstein sehen, die hoch über dem Umland auf einem Felsen lag. Marinos BMW befand sich auf dem Seitenstreifen der Landstraße nach Altenstein, Claudio stand vor dem Wagen, ebenso wie Jutta Maas. Pesch stellte den Mercedes direkt dahinter ab, er und Delamotte stiegen aus. Die vier begrüßten sich kurz und knapp, dann zeigte Pesch dem Psychologen die eingezeichneten Umrisse einer Person auf der Straße und eines Autos auf dem Seitenstreifen, etwa zehn Meter vom BMW entfernt. Pesch erzählte: „Der Name der jungen Frau ist Monika Zerres, sie war 24 Jahre alt.“
„Das jüngste Opfer bisher“, murmelte Jutta. Den Gedanken hatte Delamotte gerade auch schon gehabt.
„Sie wohnte in Neuheim, hatte aber einen Freund drüben in Altenstein“, fuhr Pesch fort, „und den wollte sie gestern Abend besuchen.“
Delamotte stellte eine Frage, die ihm die ganze Zeit im Kopf umhergeschwirrt war: „In was für einem Auto war sie unterwegs? Mit Firmenaufschrift?“
Marino nickte: „Ja. Engel auf Rädern, so heißt die Firma. Ein ambulanter Pflegedienst. Wir beide haben morgen früh einen Termin mit dem Inhaber und der Einsatzleiterin.“
„Etwa zweihundert Meter von hier mündet ein Waldweg in die Landstraße“, erläuterte Pesch, „wir gehen davon aus, dass der Uhu dort seinen Wagen abgestellt hatte. Er hat sich dann hier irgendwo postiert, die Straße beobachtet. Als sie kam, hat er wahrscheinlich, wie ich eben schon sagte, einen medizinischen Notfall simuliert. Eine Krankenschwester würde dann vermutlich anhalten, zumal es noch nicht wirklich dunkel war.“
„Und erschossen hat er sie dann aus nächster Nähe, wie Doc Wittmann sagt“, ergänzte Maas.
„Er muss gewusst haben, dass sie am Abend hier vorbeikommen würde“, sagte Delamotte und blickte die Ermittler an: „Tat sie das regelmäßig, zum Beispiel jeden Mittwoch um eine feste Zeit?“
Marino zuckte mit den Schultern: „Das wissen wir noch nicht, Alter. Jutta und ich versuchen nachher noch was aus diesem Freund rauszubekommen.“
Delamotte ging ein paar Meter die Straße entlang, bis er neben den Umrissen des Opfers auf der Fahrbahn stand. Die hin und wieder passierenden Autos schien der Psychologe gar nicht zu bemerken. Er machte ein paar Schritte in Richtung des Seitenstreifens, schüttelte den Kopf, überquerte die Straße. Vom Seitenstreifen der Gegenfahrbahn aus blickte er nach rechts, in die Richtung aus der Pesch und er gekommen waren – und die junge Frau am Vortag ebenso. Dann drehte er sich kurz um, und wieder zurück.
Während sich auf der anderen Straßenseite das Altensteiner Tal öffnete, befand sich hier dichter Bewuchs mit Bäumen und Sträuchern, auf einem moderat ansteigenden Hang. Delamottes Augen scannten den Straßenrand ab, dann ging er ein paar Schritte zurück. Hier war das Gestrüpp nicht ganz so dicht, es wirkte fast, als habe jemand eine Bresche in das Unterholz geschlagen. Er schaute sich die Stelle aus der Nähe an, ohne den Seitenstreifen zu verlassen. Stattdessen drehte er sich um und ging direkt auf die Ermittler zu. Der Fahrer eines rasch näherkommenden Audis musste stark verlangsamen und fuhr das Seitenfenster runter. Bevor er den Mund aufmachen konnte, präsentierte Pesch seine Dienstmarke und blaffte: „Polizeiliche Ermittlung. Fahren Sie weiter!“
Maas nahm Delamotte in Empfang und zog ihn von der Fahrbahn auf den Seitenstreifen. „Du musst schon ein bisschen aufpassen, Markus“, schalt sie ihn fast ein wenig mütterlich. Delamotte schien das gar nicht wahrzunehmen; er ist mal wieder im Tunnel, dachte Marino.
Der Psychologe sprach Pesch an: „Bitte ruf Sabine an. Die sollen sich diese Stelle da hinten am Straßenrand mal vornehmen. Ich glaube, da ist der Uhu aus dem Gebüsch getreten.“
„Wie kommst du darauf?“, wollte Pesch wissen.
„Passt zu ihm“, antwortete Delamotte, „und es passt zu diesem Szenario hier.“ Er wies auf die eingezeichneten Umrisse von Opfer und Auto. „Die Frau hat am Seitenstreifen angehalten, ist ausgestiegen und nach hinten gegangen“, sagte er.
„Das stimmt“, bestätigte Maas, „die Leiche lag etwa auf Höhe des hinteren Kotflügels.“
Delamotte nickte: „Wenn wir jemandem helfen wollen, gehen wir auf ihn zu, nicht von ihm weg. Der Täter hat irgendwo hier gestanden.“ Wieder ging Delamotte, ohne auf irgendwelche Verkehrsteilnehmer zu achten, auf die Gegenfahrbahn.
Marino checkte die Straße in der Absicht, seinem Kumpel das Aufpassen ein wenig abzunehmen. „Und er kam vermutlich von da“, ergänzte der Psychologe und zeigte auf den Punkt, an dem das Gestrüpp weniger dicht war. „Er kam aus den Büschen, scheinbar verletzt, benötigte Hilfe“, sagte er, „und sie hielt an, ging zurück zu der vermeintlich verletzten Person, und…“
Er musste den Gedanken nicht weiter ausführen, trotz des warmen Sommerwetters überkam Pesch ein Frösteln. Er nahm sein Mobiltelefon zur Hand und bat Sabine Greven, mit ein paar Kollegen noch einmal zum Tatort zu kommen.
„Das bringt uns natürlich gleich zu der nächsten Frage“, sprach Delamotte leise. Die anderen blickten ihn an. „Wie konnte er wissen, dass oder besser wann sie näherkam?“, fragte er.
Marino verstand den Gedanken – weit einsehen konnte man die Landstraße von ihrer Position aus nicht.
„Wo ist dieser Waldweg, den du eben erwähnt hast?“, wollte Delamotte von Pesch wissen.
„Ich zeige ihn dir“, erwiderte der Hauptkommissar, bevor er sich Marino und Maas zuwandte: „Bleibt ihr bitte hier und wartet auf Sabine, falls wir beiden länger unterwegs sein sollten.“ Marino nickte. Mit einem Delamotte in seinem jetzigen Zustand musste man mit so etwas rechnen.
Nach wenigen Minuten hatten Pesch und Delamotte die Einmündung des Waldwegs erreicht. Geschwind ging Delamotte den Weg bergan, zu Peschs Überraschung, der erwartet hatte, der Psychologe wolle sich primär den Platz angucken, an dem der Uhu vermutlich sein Auto abgestellt hatte. Nun musste er ihm den Waldweg hinauf folgen, ohne wirklich zu wissen, was Delamotte überhaupt wollte. Bereits nach kurzer Zeit heftigst schnaufend, wünschte sich Pesch, er hätte diese Aufgabe Maas oder Marino überlassen, und unten an der Straße auf die Kriminaltechniker gewartet. Und er wunderte sich, dass Delamotte, der ja nun auch nicht gerade sportlich aussah, flink wie eine Bergziege weiterlief.
Kurz vor der Kuppe des Hügels, den sie hinaufgingen, wurde der Bewuchs dünner. Ganz oben befand sich ein Plateau mit einer Aussichtsplattform, die den unverstellten Blick auf Burg Altenstein freigab. Pesch sah, dass Delamotte auf der mit einem rustikalen Holzzaun gesicherten Plattform stand und seinen Blick über die Landschaft schweifen ließ.
Seine Augen wanderten von der Burg hinunter ins Tal, er entdeckte Maas, Marino und die Autos weit unten, sein Blick schweifte weiter nach rechts. Das gewundene schwarze Band der Landstraße versteckte sich manchmal für ein Stückchen im Wald, um ein bisschen weiter wieder zutage zu treten. Schließlich verlief es ein längeres Stück schnurgerade Richtung Horizont. Delamotte erinnerte sich an den Hinweg, die Straße hatte dort ein Gefälle von mittlerer Stärke. Am Ende des Horizonts verschwand das schwarze Band, kaum noch von der Umgebung unterscheidbar, hinter den Hügeln. Delamotte bemerkte einen sich bewegenden kleinen roten Punkt, und blickte auf die Uhr.
Pesch war in der Zwischenzeit wieder zu Atem gekommen, und blickte ein wenig ratlos, aber auch fasziniert auf den Psychologen, der nur wenige Meter entfernt von ihm stand. Hauptkommissar Hans-Jakob Pesch wusste, dass es keine gute Idee wäre, Delamotte in diesem Zustand anzusprechen. Er selber hatte diesen Fehler einmal gemacht und sich geschworen, ihn niemals zu wiederholen. Und so blieb Pesch ruhig, widerstand auch dem Gedanken, mit dem Handy ein paar Fotos von Burg Altenstein zu machen, der Blick von hier war wirklich spektakulär. Stattdessen ruhten seine Augen auf Delamotte, auch wenn Pesch sich dabei fühlte, als sähe er einem Guru beim Meditieren zu. Wobei er kaum glaubte, dass Gurus beim Meditieren regelmäßig auf die Armbanduhr schauten.
Etwas später sah Delamotte, wie ein rotes Auto unten an Maas und Marino vorbeifuhr. Abermals kontrollierte er die Uhr – ein bisschen Kopfrechnen, er nickte. Ja, die Zeit sollte passen.
Du musst hier regelmäßig gestanden haben, mehr als nur einmal, gestern Abend. Du wusstest, dass sie hier entlang kommen und wann das der Fall sein würde. Vermutlich hattest du einen Feldstecher dabei, um sicher zu sein, dass der Wagen da oben am Beginn der Gefällestrecke ihrer war.
Warum hast du dir diese Mühe gemacht? Es gab bestimmt andere Gelegenheiten, ihr aufzulauern wie den vorherigen Opfern. Vor ihrer Wohnung, vor der Wohnung ihres Freundes, vielleicht am Sitz des Pflegedienstes, für den sie arbeitete. Warum hier? Warum diese Show? Wolltest du etwas beweisen? Uns? Der Öffentlichkeit? Ein Statement abgeben, dass du noch da bist?
Er wandte sich Pesch zu: „Gut, gehen wir wieder nach unten.“ Während er sich in Bewegung setzte, nutzte Pesch die Gelegenheit, doch noch ein paar Fotos von Burg Altenstein zu machen.
Als die beiden wieder am Tatort ankamen, waren in der Zwischenzeit Sabine Greven und zwei Mitarbeiter der Spurensicherung eingetroffen und untersuchten die kleine Bresche im Gestrüpp. Sabine kam auf die Ermittler zu und sagte: „Da sind ein paar Stellen, frisch abgebrochene Zweige, niedergetretene Pflänzchen – sieht wirklich so aus, als hätte jemand dort im Gebüsch gewartet.“
Delamotte sprach Maas und Marino an: „Wenn ihr den Freund der Krankenschwester befragt – fragt ihn, wie oft die Frau in den letzten zwei oder drei Wochen bei ihm war, und wenn es geht die genauen Daten.“
Pesch wollte wissen: „Was genau hast du da oben gesehen?“
Delamotte erklärte es ihm: „Von da oben reicht der Blick sehr weit die Straße runter, bis da hinten zu dem Hügel, den wir auf dem Hinweg runtergefahren sind. Ich nehme an, er hat ein Fernglas dabeigehabt, um sicher zu sein, dass es wirklich das Auto der jungen Frau war.“ Er hielt einen Moment inne, bevor er fragte: „Welche Farbe hat der Wagen eigentlich?“
Maas antwortete: „Gelb und Blau, ziemlich auffällig, wenn du mich fragst.“
Delamotte nickte – vielleicht hatte der Uhu nicht einmal ein Hilfsmittel gebraucht, um das Auto zu erkennen. „Er muss sie mehrmals beobachtet haben“, führte er aus, „um sicher zu sein, dass die Zeit, die sie mit dem Auto brauchte, ausreichte. Lange genug, damit er sein Versteck beziehen konnte.“
Einer der Kriminaltechniker gesellt sich zu ihnen. „Wir haben da was gefunden“, berichtete er, „sieht aus wie Blutstropfen, aber noch verblüffend frisch. Zu frisch, denke ich.“
„Filmblut“, sagte Delamotte.
„An sowas hatten wir diese Nacht auch schon gedacht“, warf Maas ein.
„Eine richtige Falle“, sagte Marino, „er ist davon ausgegangen, dass eine Krankenschwester anhält, wenn jemand mit einer blutenden Wunde aus dem Wald auf die Straße läuft.“
„Zu recht“, bemerkte Pesch, und sinnierte: „Er hat sich viel mehr Arbeit gemacht als bei den früheren Opfern. Er hat sie nicht nur beobachtet und eine günstige Gelegenheit abgepasst, sondern ganz aktiv ein Szenario aufgebaut. Warum hat er das getan?“
Er sah Delamotte an, der eine Erklärung hatte: „Er hat eine Show aufgezogen. Dafür hat er sich diese Arbeit gemacht, dafür ist er deutlich mehr Risiken eingegangen. Es war noch nicht dunkel, es hätte jemand anderes vorbeikommen können, ein Radfahrer zum Beispiel. Anhand der Zeiten konnte er relativ sicher sein, dass das Auto, das sich näherte, ihr Auto war. Absolute Sicherheit hatte er aber auch darin nicht.“
„Aber warum hat er das alles getan?“, drängte Pesch.
„Für uns“, sagte Delamotte, „für die Polizei, für die Öffentlichkeit. Ich bin noch da. Dieser Brückner ist der falsche Mann. Der Uhu fliegt noch.“
„Was für ein krankes Arschloch“, bemerkte Marino.
Delamotte musste ihm recht geben; spätestens jetzt war klar, dass der Uhu freiwillig niemals aufhören würde. Er bat die Kriminaltechniker, sich auch noch die Umgebung der Aussichtsplattform anzuschauen. Sabine versprach es, ihr Gesichtsausdruck spiegelte die Erkenntnis aller Beteiligten wider. Der Alptraum war noch nicht vorbei.
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