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Der Ring - Fortsetzungsroman, Teil 13
VIII.

Simon faltete die Zeitung zusammen und legte sie in die unterste Schublade seines Schreibtischs. Aus der oberen Schublade entnahm er seinen Notizblock und die Zusammenfassung des letzten Gesprächs mit dem Patienten, dem er in wenigen Minuten gegenübersitzen würde. Wenn der Patient denn überhaupt erschien. Zu Beginn der Therapie hatte der Mann einige Termine kurzfristig platzen lassen. Die letzten drei Sitzungen hatte er allerdings wahrgenommen – Simon erschien dies als ein gutes Zeichen.
Es war ihm bewusst, dass Herr Osterfeld nicht freiwillig an dieser Therapie teilnahm. Er kannte die Vorgeschichte des Patienten; was der Mann getan hatte, konnte er natürlich nicht gutheißen. Andererseits kannte er auch die Gründe. Und in den letzten beiden Sitzungen hatte der Patient sich geöffnet, wie Simon empfand. Herr Osterfeld hatte von seinen Alpträumen gesprochen, und Simon vermutete sehr tiefsitzende Schuldgefühle bei dem Mann. Und es war offensichtlich, dass der Patient sehr unter seiner Situation litt. Und schließlich war es Simons Aufgabe, oder eher noch seine Berufung, Patienten dabei zu helfen, ihr Leiden zu überwinden.
Manchmal, beim Blick auf seinen Kontostand zum Beispiel, fragte Simon sich, ob er den richtigen Beruf gewählt hatte. Aber Therapiegespräche wie das nun anstehende brachten ihn immer wieder zu der Einsicht, dass seine Tätigkeit eine Form von Anerkennung mit sich brachte, die sich nicht in Zahlen ausdrücken ließ. Und letztlich hatte er ja auch durch die Bank mit minderschweren Fällen zu tun, genau wie seine anderen Kolleginnen und Kollegen in der Praxis. Es gab weit Schlimmeres in der Welt, sogar hier in Marßen, wie er fast täglich der Zeitung entnehmen konnte. Simon schloss die Schublade, in der die Bescheinigung über das Therapiegespräch bereits ausgefüllt lag.

„Marino und Henseler sind bereits in Heppel“, sagte Pesch, als Delamotte und Lüttges in sein Büro kamen. „Ihr beide werdet gleich auch dahinfahren“, fuhr er fort, „falls es wieder der Uhu war, sollte Markus sich den Tatort anschauen.“
„Es sieht also wieder nach dem Uhu aus?“, fragte Lüttges.
Pesch nickte: „Kopfschuss, vermutlich am späten Abend ermordet, auch wenn die Leiche erst frühmorgens von einem Nachbarn gefunden wurde, der eine Runde mit seinem Hund machte.“ Er blickte auf einen Zettel: „Das Opfer heißt Gustav Hanelt. Elektriker im Ruhestand, 66 Jahre alt – bis vor ein paar Jahren hatte er wohl einen eigenen Betrieb, den hat er dann verkauft. Jeden Mittwochabend traf er sich mit ein paar Freunden zum Skat – er war zum Tatzeitpunkt vermutlich auf dem Heimweg, seine Leiche wurde auf einem Gehweg zwischen der nächsten Bushaltestelle und seinem Haus gefunden.“
„Er erhöht die Schlagzahl“, murmelte Delamotte. Die beiden Ermittler blickten ihn fragend an. Der Psychologe erklärte seinen Gedankengang: „Zwischen den ersten drei Morden lag jeweils deutlich mehr als ein Monat. Dann haben wir, selbst unter Berücksichtigung der Morde in Holland, eine Pause von etwa drei Monaten – sofern er nicht noch woanders tätig war.“
Lüttges widersprach: „Das hätten wir durch die Anfrage bei Interpol mitbekommen.“
„Dann wieder mehr als ein Monat bis zum Mord an Oudwater. Zwischen dem LKW-Fahrer und Ernsting liegt gerade mal ein Monat, bei Becker dann ein kleines bisschen mehr, und jetzt wieder ein Monat“, führte Delamotte den Gedanken fort.
„Du meinst, er dreht zunehmend durch?“, fragte Lüttges.
„Das nicht, leider“, sagte Delamotte. Er zögerte einen Moment, bevor er weitersprach: „Er gewinnt zunehmend an Routine.“
„Und von selber aufhören wird er nicht“, warf Pesch ein. Delamotte schüttelte den Kopf.

Fast so etwas wie ein Déjà-vu hatte Delamotte, als Lüttges und er in der Straße ankamen, in der Hanelt gelebt hatte. Wie sehr sich doch diese Einfamilienhaus-Siedlungen in den Außenbezirken der Stadt ähnelten. Holzweiler, Vernay und jetzt Heppel – fast hätte man meinen können, dachte Delamotte, dass der Täter es gezielt auf Angehörige der Mittelschicht abgesehen hätte, wären da nicht Fischer mit seiner Mietwohnung in Beyel und Dorn mit seinem prachtvollen Anwesen im Altensteiner Land gewesen. Nicht sein Anwesen, fiel Delamotte ein, es hatte ja zur Hälfte Dorns Partnerin gehört. Wenn er dann noch Ernsting mit seinem Haus auf dem Lande hinzuzählte – aber das konnte er nicht, und er glaubte kaum, dass der Sozialstatus der Opfer irgendeine Rolle in der Entscheidungsfindung des Uhu gespielt hatte.
Als sie ausstiegen, kam Marino auf sie zu. „Pesch wird euch das meiste schon erzählt haben“, erklärte er, „die Frau hat erst heute früh davon erfahren, als die Kollegen bei ihr geklingelt haben. Sie ist gestern Abend um halb elf schlafen gegangen, es kam wohl schon mal vor, dass die Skatabende etwas länger dauerten.“
Nach einer kurzen Pause sprach er vorsichtig weiter: „Und auch wenn es ziemlich hart klingt – aber verglichen mit dem Lebensgefährten von Anita Becker hat es sie wahrscheinlich, den Umständen entsprechend, besser erwischt.“
Innerlich musste Delamotte seinem Kumpel doppelt recht geben – ja, es klang ziemlich hart, und ja, Marino lag mit seiner Einschätzung vermutlich richtig.
„Wo ist diese Bushaltestelle, von der er gekommen ist?“, fragte der Psychologe.
„Ich zeige sie Euch“, antwortete Marino. Delamotte bemerkte auf dem Weg, dass die Kriminaltechniker bereits damit beschäftigt waren, ihre Sachen einzupacken.
Nach etwa fünf Minuten kamen sie an die Hauptstraße, über die Lüttges und er auf dem Hinweg gefahren waren. Nur ein kleines Schild am Straßenrand verwies auf die Haltestelle; den Fußweg, der ein paar Meter weiter links abging, hatte Delamotte aus dem Auto heraus gar nicht bemerkt. Der gepflasterte Pfad hatte Hanelts Heimweg deutlich verkürzt, war aber in den abendlichen Stunden mit Sicherheit sehr dunkel. Wieder so ein nahezu perfekter Tatort, dachte Delamotte – der Uhu musste das gewusst haben.
„Habt Ihr seine Frau mal gefragt, ob ihm oder auch ihr in jüngster Zeit jemand aufgefallen ist – jemand, der ihn beobachtet hat?“, wollte er wissen.
Marino blickte ihn ein bisschen kritisch an: „Wir haben sie noch so gut wie nichts gefragt – Jutta und Niklas unterhalten sich morgen mit ihr. Auch wenn es der Frau wohl besser ergangen ist als Beckers Partner – mitgenommen ist sie trotzdem.“

Erst als er abends am Herd stand, fiel Delamotte ein, dass Pesch mit seiner Prophezeiung recht gehabt hatte. Der Uhu hatte dieses Mal wieder im Osten der Stadt zugeschlagen. Er konnte sich immer noch nicht vorstellen, dass dieser Umstand irgendeine Bedeutung hatte, aber der Punkt nagte an ihm – und sei es aus dem Grund, dass Pesch die geografische Verteilung der Tatorte ins Spiel gebracht hatte. Der Gedanke war ihm peinlich. Gönnte er dem Hauptkommissar nicht, diesen Aspekt vor ihm bemerkt zu haben?
Er gab die Kidneybohnen zu der Mischung aus Hackfleisch, Zwiebeln, Knoblauch und Chili in die Pfanne, reduzierte die Hitze und stellte den Timer auf zwanzig Minuten. Dann nahm er eine weiße Papierserviette aus der Schublade unter der Anrichte, griff sich einen Kugelschreiber und setzte sich an den Küchentisch. Er begann zu zeichnen, setzte weit oben rechts an: Holzweiler. Er zog eine Linie weit nach unten, links aber noch relativ mittig – da ungefähr lag Beyel. Wieder hoch nach rechts, weiter rechts als der Ausgangspunkt, aber nicht ganz so weit oben. Dann von Neringen nach Vernay, weit nach links, fast schnurgerade. Schließlich Heppel, eine Linie fast so lang wie die zuvor, leicht abwärts; sie endete annähernd so weit unten wie die erste Linie, und etwa so weit rechts wie der Ausgangspunkt der Zeichnung.
Delamotte grübelte – nach den ersten drei Linien hatte er an einen Stern gedacht, oder an das Haus des Nikolaus. Aber nein, selbst ein Kleinkind würde eine solche Figur besser hinbekommen.
Was zum Teufel willst du uns sagen, du komischer Vogel? Oder hat diese Verteilung gar keine Bedeutung?
Er erinnerte sich daran, dass Pesch noch einen weiteren Punkt angebracht hatte. Sie hatten darüber gesprochen, warum der Uhu gerade jetzt, vor knapp einem Jahr, zum Mörder geworden war. Delamotte hatte von einem Verlust gesprochen, vielleicht einem Unfall, und den Gedanken rasch als ziemlich banal verworfen. Pesch hatte eingeworfen, dass gerade die banalen Dinge oftmals zur Lösung eines Falles beitrugen. Und Pesch, das musste Delamotte eingestehen, hatte schon viele Fälle gelöst, bereits lange bevor das Dezernat einen Psychologen zur Unterstützung bekommen hatte.
Ein Unfall? Ist es das? Hat es einen Unfall gegeben, bei dem jemand umgekommen ist, der dir nahestand? Deine Frau vielleicht, oder ein Kind?
Den letzten Gedanken strich Delamotte sofort. Er konnte sich beim besten Willen nicht vorstellen, dass jemand, der ein Kind großgezogen hatte – mit genügend Hingabe und Liebe großgezogen, präzisierte er, um dessen Tod rächen zu wollen – dann einen solchen Impuls mit derartiger Eiseskälte umsetzen könnte.
Selbst wenn dem so wäre – warum tötest du völlig unbeteiligte Dritte? Herrgott nochmal, jeder normale Mensch hätte es dann vielleicht auf den Verursacher des Unfalls abgesehen…
Fast hätte er laut aufgelacht. Er ging gerade von völlig falschen Prämissen aus: der Uhu war eben kein normaler Mensch. Das machte die Sache ja so schwierig.
Ein Geräusch aus dem Arbeitszimmer störte seinen Gedankenfluss. Kein Problem, dachte Delamotte, seine Gedanken waren gerade eh reichlich wirr. Er ging hinüber und schnappte sich sein Handy, das mit einem grünlichen Leuchten vor sich hin brummte.

„Pass gut auf dich auf, kleiner Bruder“, klang Hardys Stimme aus dem Lautsprecher. „Muss ich ja wohl, wenn mein großer Bruder so weit weg ist“, antwortete Delamotte. Kurz darauf hörte er ein Klicken – Hardy hatte aufgelegt.
Delamotte ging in die Küche; der Herd hatte sich längst selber abgeschaltet, sein Chili con Carne war bestenfalls lauwarm. Er schaltete den Herd noch einmal ein, wählte die passende Hitze und goss sich ein Glas Tempranillo ein. Dann setzte er sich an den Küchentisch, auf dem die Serviette mit seiner Zeichnung lag, aber für den Uhu hatte er gerade keinen Gedanken übrig. Das lange Gespräch mit Hardy hatte ihn etwas aufgewühlt.
Er wusste nicht, was er über Katas Einmischung denken sollte. War es denn überhaupt eine Einmischung? Oder nahm seine kleine Schwester einfach Anteil? Nach der Diskussion mit Mutter hatte sie Hardy angerufen – Hardy, nicht ihn. Aber er konnte sie durchaus verstehen, er hatte sie ja auch nicht ins Vertrauen gezogen, nachdem Mutter einen Verkauf des Hauses angedeutet hatte. Er hatte weder mit Kata noch mit Hardy darüber gesprochen – dabei waren die beiden doch genauso in der Wiesenau groß geworden wie er selbst. Sicher, sein Motiv war lauter gewesen – er hatte einen Streit vermeiden wollen. Oder redete er sich das selber ein? War vielleicht etwas dran an der Andeutung, die Hardy gemacht hatte – sicherlich inspiriert durch Kata? Waren sein Bruder und er letztendlich zwei Weicheier, die jedem Konflikt auswichen? So dass ausgerechnet die kleine Schwester die Toughe unter den Delamotte-Kindern sein musste? Es mochte schon so sein.
Delamotte ging zum Herd, nahm die Suppenkelle vom Haken und füllte seinen Teller. Während er aß, dachte er weiter über die Familie nach. War diese Härte der Frauen, verbunden mit einer Konfliktscheu der Männer, typisch für die Delamottes? Die ruhige, den Widerständen gerne ausweichende Art seines Vaters mochte diese Interpretation stützen. Oder war Heinz-Paul Delamotte erst durch seine Ehe so geworden?
Es sprach einiges dafür; eigentlich, sinnierte Delamotte, war diese weibliche Herrschsucht eine Spezialität der Morenhovens. Sicher, Onkel Jean war eine Persönlichkeit des öffentlichen Interesses gewesen, und hatte nach außen die Rolle des Patriarchen gespielt. Aber Delamotte war bewusst, dass sein Großonkel ein sehr wohlwollender Patriarch gewesen war. Die Schwestern von Onkel Jean waren von anderem Kaliber gewesen, was Delamotte so gehört hatte. Nur einmal hatte der damalige Landrat in der Familie auf den Tisch gehauen – als seine Schwestern vehement Einspruch dagegen erhoben hatten, dass ihre Nichte einen Arbeitersohn zu heiraten gedachte. „Halt endlich die Klappe, Cilli“, hatte er seine Schwester Cäcilia angeherrscht, die wohl die Wortführerin der Morenhoven-Schwestern gewesen war. So hatte Delamotte die Geschichte von Oma Hanni erzählt bekommen.
Als Delamotte kurze Zeit später noch einmal ins Arbeitszimmer ging, hörte er vom Flur Brittas Stimme und die eines Mannes. Radi vermutlich, dachte er. Immerhin waren die beiden formell noch verheiratet, da gab es immer einiges abzustimmen, die gemeinsame Steuererklärung zum Beispiel. Seit der Fahrt in die Tiefgarage hatte er seine Nachbarin nicht mehr gesehen – das fand er sehr bedauerlich. Und das nicht nur, weil sie so verteufelt knusprig ausgesehen hatte.

Delamotte hatte gerade ein paar weitere Post-its auf das Whiteboard geklebt, als ihn Lüttges‘ Anruf erreichte. Bis in die Nacht hinein hatte er noch mal das Täterprofil durchgearbeitet – er glaubte nicht, dass die neuen Erkenntnisse zu wesentlichen Änderungen an seinen Schlussfolgerungen führen würden, aber er musste sie einbauen und über einige Dinge noch tiefer nachdenken. Das war nötig, er war es sich selbst schuldig, seinem Job, seinem Ethos, seinen Kollegen. Besonders aber den Opfern, die der Uhu bereits gefordert hatte. Und mehr noch denen, die er fordern würde.
„Ich habe hier einen interessanten Hinweis aus den Niederlanden bekommen“, sagte Lüttges, „ich mache mich gleich auf den Weg und möchte, dass du mitkommst.“
Delamotte wollte eine Frage loswerden, aber der Kommissar war noch nicht fertig: „Pack ein paar Klamotten ein, es kann sein, dass wir da übernachten. Ein neuer Kollege von der Ballistik kommt ebenfalls mit.“
„Alvarez“, warf Delamotte ein.
Lüttges schien überrascht, dass die beiden sich schon kannten: „Genau der. Wir fahren kurz bei ihm vorbei, damit er etwas packen kann, und dann bei mir. Ich schätze, spätestens in zwei Stunden werden wir bei dir in Bliesfeld sein. Bis dann.“ Lüttges legte auf, ohne eine Antwort abzuwarten. Delamotte hatte gar keine Möglichkeit nachzufragen, worum es eigentlich ging.

Keine drei Monate lag es zurück, fiel Delamotte ein, dass er an genau dieser Stelle gestanden hatte, um die Wohnungsschlüssel in Empfang zu nehmen. Eine ziemlich kurze Zeitspanne, dachte er. Und doch hatte sich so vieles getan seither.
Oder lief die Zeit gerade allgemein schneller ab als früher? Fast mochte es ihm so scheinen. Er erinnerte sich an etwas, das ihm Tante Lilly erzählt hatte – Elisabeth Brückl, eigentlich eine Großtante, Nichte seiner Urgroßmutter. „Es wird eine Zeit kommen, mein Junge“, hatte sie oft gesagt, „dass die Jahre so schnell ablaufen werden wie Monate und die Monate so schnell wie Wochen und die Wochen so schnell wie Tage.“
Dann hatte Tante Lilly stets den Rosenkranz aus ihrer Handtasche genommen und bedeutungsschwer erklärt: „Daran wirst du sehen, dass das Ende der Welt nahe ist – so steht es geschrieben.“ Delamotte lächelte und blickte gen Himmel.
Nein Chef, lass mal gut sein. Kein Ende der Welt. Nicht jetzt. Dafür haben zu viele gute Leute noch zu viel an guter Zeit vor sich.
Aber tatsächlich hatten ihm die Minuten, die er nun hier an der Cestonarostraße stand, auf Lüttges‘ Audi wartend, wieder mal klargemacht, dass er in Zeiten der Umbrüche lebte. Alleine die Kennzeichen der Autos, die an ihm vorbeifuhren.
In seiner Jugend hatte es da natürlich die vielen Holländer gegeben, meist im Sommer und oft mit einem Wohnwagen hintendran. Belgier natürlich auch, ab und zu Franzosen. Alle anderen, die Skandinavier, die Briten, die Italiener: schon deutlich seltener.
Wenn die Familie damals mit dem Auto unterwegs gewesen war, hatten die Geschwister ein Spiel daraus gemacht: wer entdeckt ein Kennzeichen aus dem Ausland als erster? Die sporadischen Spanier oder Portugiesen, Griechen, Türken oder Jugoslawen waren für den Entdecker Gold wert gewesen. Oder die Entdeckerin, meistens hatte Kata in dem Spiel gewonnen.
Seit er das Haus verlassen hatte, waren zwei polnische, ein slowakisches und ein lettisches Fahrzeug an ihm vorbeigefahren. Die Kennzeichen wirkten nicht mehr so exotisch wie noch zehn Jahre zuvor.
Die Öffnung des Eisernen Vorhangs hatte Delamotte mit großer Anteilnahme verfolgt, auch in der Schule hatten sie sich mit den Ereignissen auseinandergesetzt – und das nicht nur im Klassenzimmer. Hardy hatte bereits ab 1991 die ehemaligen Ostblockstaaten bereist, Delamotte selbst war erst in den letzten Jahren dazu gekommen. Das Einzige, das ihn an der Migration aus diesen Ländern störte, war der Umstand, dass die kulinarische Seite der Migration noch auf sich warten ließ. Regelmäßig suchte Delamotte im Internet nach Restaurant polnischer, rumänischer, ukrainischer Provenienz, um nur ein paar zu erwähnen. Fast jedes Mal vergebens; zumindest ein paar interessante Geschäfte hatte er ausfindig gemacht.
Ein Hupen ließ Delamotte wieder zu sich kommen. Die Lautstärke des Geräuschs erklärte sich leicht aus der geringen Entfernung, aus der es kam. Lüttges‘ Auto stand direkt vor ihm. Er hatte den A4 überhaupt nicht bemerkt. Aber das war ja auch leicht erklärbar – der Audi hatte ein stinknormales Marßener Kennzeichen.

Noch auf dem Marßener Ring erzählte Lüttges, worum es bei dem Trip eigentlich ging: „In einer Kleinstadt in der Nähe von Rotterdam ist eine Kugel gefunden worden, die laut den örtlichen Kollegen zur Waffe des Uhu passt. Die Kugel wurde durch Zufall in einer Kirchentüre gefunden – oder genauer gesagt, im Rahmen dieser Türe.“
„Kirchentüre?“, fragte Alvarez. „Hat der Kerl es etwa auch auf Priester abgesehen?“
„Würde mich nicht wundern“, bemerkte Lüttges trocken.
„Mich schon“, murmelte Delamotte auf dem Rücksitz, und erkundigte sich dann laut und deutlich: „Hat man bereits eine Idee, wie lange die Kugel dort schon steckte.“
„Noch nicht lange“, antwortete Lüttges, „die Kirche ist letztes Jahr renoviert worden, die fragliche Türe wurde erst kurz vor Weihnachten eingebaut – inklusive des Rahmens.“
Als sie am Dreieck Neuheim Richtung Norden abfuhren, erklärte der Kommissar: „Die holländischen Kollegen erwarten uns vor Ort. Wenn Hugo bestätigen kann, dass die Kugel vom Uhu stammt, müssen wir versuchen, rauszukriegen auf wen der Kerl geschossen hat.“
„Und wann er geschossen hat“, ergänzte Delamotte. Lüttges nickte. Delamotte hatte bereits eine gewisse Vorstellung: „Bitte frag die holländischen Kollegen, ob in der Osterzeit etwas Besonderes in dieser Kirche gelaufen ist – eine größere Veranstaltung vielleicht. Und wenn sie es genauer spezifiziert haben wollen: die Woche vor Ostern interessiert mich besonders.“
Lüttges wusste genau, worauf der Psychologe hinauswollte – er hatte bereits ähnliche Vermutungen gehabt.

Die Westerkerk war ein imposanter Ziegelsteinbau aus dem späten 19. Jahrhundert. Deutlich überragte sie die Wohnhäuser der Umgebung, nur ein paar Kräne im nahegelegenen Hafen machten ihr Konkurrenz. Delamotte dachte ein paar Stunden zurück, an seine Überlegungen zu Zeiten der Umbrüche. Auch die letzte Jahrhundertwende war eine solche Zeit gewesen – und ihm kam der Gedanke, diese Kirche, auf deren Vorplatz Lüttges den A4 steuerte, könnte ein sprechender Zeuge dieser Zeit sein. Hatte die niederländisch-reformierte Kirche dieses Gotteshaus errichtet als Zeichen eines vermeintlich ungebrochenen Machtanspruchs, oder eher – schon fast resigniert – als sichtbaren Trost für jene, denen die Umbrüche zu schnell verlaufen waren?
Als die Deutschen aus dem Auto stiegen, kam ein dunkelhäutiger Hüne auf sie zu und fragte auf Englisch nach Kommissar Lüttges. Kommissar Frank Rigters von der Reichspolizei war ungefähr so groß wie Manni, und um einiges athletischer. Er bat die Marßener Kollegen, ihm zu folgen – die fragliche Türe war der Nebeneingang der Kirche, und lag auf der anderen Seite.
Auf dem Weg vor der Türe stand ein Fahrzeug, das bei Delamotte einen kurzen Moment lang den Gedanken auslöste, die holländische Polizei habe eigene Campingwagen. Die Aufschrift deutete allerdings an, dass das Auto ein mobiles Labor der Spurensicherung war.
Rigters führte die Gäste zu der Tür und wies auf eine sichtbare Einschussstelle im Türrahmen hin, auf knapp zwei Metern Höhe. „Der neue Organist der Kirche hat zur richtigen Zeit bei den richtigen Lichtverhältnissen an die richtige Stelle geguckt“, erklärte er, „als die Kugel noch im Rahmen steckte, war das keinesfalls so sichtbar wie jetzt.“
„Wer von euch ist der Ballistikexperte“, wollte Rigters wissen.
Alvarez hob das Kinn an. Rigters blickte in Richtung des Fahrzeuges, aus dem gerade eine grauhaarige Dame in den Fünfzigern stieg.
„Meine Kollegin Inge wird dir das Fundstück zeigen“, sagte der niederländische Kommissar.
Dann sprach er Delamotte an: „Du musst dann der Psychologe sein – womit können wir dir helfen?“
„Ich würde mir gerne die Umgebung anschauen – immerhin hat hier möglicherweise ein…“ – Delamotte musste tatsächlich kurz durchzählen – „…inzwischen achtfacher Mörder versucht, einen weiteren Menschen zu töten.“ Rigters wirkte nachdenklich. „Habt ihr einen ortskundigen Beamten“, bat der Psychologe, „der mir dabei helfen kann?“
Rigters überlegte kurz, trat dann vor die Türe und rief einen jungen Beamten in Uniform zu sich. „Das ist Edwin“, stellte er ihn vor, „er ist in dieser Nachbarschaft großgeworden.“

Delamotte nickte dem jungen Mann zu: „Lass uns mal ein bisschen rumgehen. Ich würde gerne ein Gefühl für diesen Ort gewinnen.“ Sie gingen um das Fahrzeug der Kriminaltechnik herum; vom Fußweg aus konnte man die Kirchentür nun nicht mehr sehen, aber Delamotte hatte schon als Kind eine Kombination von Fantasie und Abstraktionsvermögen ausgezeichnet. An der Stelle, wo der Fußweg auf eine kleine Straße mit Kopfsteinpflaster stieß, drehte er sich wieder zur Kirche um. Auch aus dieser Entfernung sah die Westerkerk immer noch sehr groß aus.
Edwin bemerkte seinen Blick: „Etwas zu groß, nicht wahr?“
Delamotte stimmte zu; auch in seiner Heimat gab es Kirchen aus der Zeit der Jahrhundertwende, die heutzutage überdimensioniert wirkten.
„Aber als Konzertsaal ist sie großartig, dort drinnen herrscht eine fantastische Akustik“, erklärte der Polizist.
„Wird sie etwa nicht mehr als Kirche genutzt?“, fragte Delamotte überrascht.
„Doch, das schon“, antwortete Edwin, „aber hauptsächlich an besonderen Festtagen, Ostern und Pfingsten zum Beispiel. An den meisten Sonntagen gehen die Reformierten in der neuen Kirche zum Gottesdienst, die ist kleiner. Passt besser in die Zeit.“
Der Psychologe blickte sich um und fragte: „Wie heißt diese kleine Straße hier?“
„Kerkstraat“, sagte Edwin, und zeigte nach rechts: „Sie führt da lang zum Fluss und zum Hafen. Hier in der Nachbarschaft haben früher die ganzen Schiffer gewohnt.“
Delamotte blickte die Straße entlang – das Gefälle war nicht stark, aber der Uhu hätte sich kaum einen Standort ausgesucht, der vergleichsweise dicht bewohnt, einigermaßen gut beleuchtet und unterhalb seines Zielpunkts gelegen war. Er drehte sich nach links.
„In dieser Richtung geht es zum Marktplatz“, erklärte Edwin.
„Das sieht nach einer Einbahnstraße aus hier“, stellte Delamotte fest. Der Holländer bestätigte.
Delamottes Aufmerksamkeit fiel auf eine Baumgruppe, die ein Stück weit in Richtung Marktplatz lag. „Was befindet sich da vorne“, wollte er wissen.
Der junge Polizist erwiderte: „Das ist der Rest vom alten Kirchhof.“
Die beiden Männer gingen auf die Bäume zu; beim Gehen, fiel Delamotte auf, war das Gefälle der Straße deutlicher zu spüren als nur mit den Augen.
Bei der Baumgruppe angekommen, wandte sich der Psychologe zur Westerkerk hin um. Die Entfernung war schon ein Stück weiter als von der Brücke zum Platz, an dem Dorns Auto in Neringen gestanden hatte. Er wünschte sich, Manni wäre dabei – der Kommissar könnte besser einschätzen, ob ein guter Schütze wie der Uhu von hier aus eine Person vor der Kirchentüre treffen würde. Die Sicht auf den Eingang jedenfalls war sehr gut.
Delamotte kam eine Idee. „Kannst du schießen?“, fragte er Edwin.
Der Holländer wirkte ein wenig amüsiert: „Jeder Polizist kann schießen.“
Delamotte erklärte: „Stell dir vor, hier an den Bäumen steht ein sehr guter Schütze. Könnte er jemanden treffen – nicht nur einfach treffen, sondern präzise in den Kopf schießen – der dort im Seiteneingang der Kirche steht?“
Edwin überlegte: „Kommt darauf an – welche Tageszeit, welche Lichtverhältnisse?“
Delamotte zögerte, dachte an die Nacht vor Gründonnerstag: „Spätabends. Sehr dunkel.“
Edwin wirkte skeptisch, blickte dann noch einmal in Richtung Westerkerk: „Also, wenn Licht aus dem Inneren der Kirche auf den Weg fallen würde…“ Er stutzte kurz: „Oder guck mal da – wenn diese Laterne eingeschaltet wäre…“
Delamottes Augen folgten Edwins Fingerzeig – die kleine Laterne, die sich seitlich von der Türe an der Wand der Kirche befand, hatte er bislang übersehen. Der junge Polizist sagte: „Hier ist es auf jeden Fall ziemlich dunkel – und dort ist es deutlich heller. Ja, ich glaube, das wäre möglich. Der Mann müsste ein extrem guter Schütze sein – viel besser als ich zum Beispiel. Aber ja, doch – es wäre möglich.“
Einige Augenblicke lang war es still. Nur die Geräusche des Berufsverkehrs, der schon vor einiger Zeit eingesetzt hatte und vom Fluss aus die Kerkstraat hinaufzog, durchbrachen die Stille. Edwin sah Delamotte an – es schien ihm, als sei dieser deutsche Psychologe gerade in einer ganz anderen Welt. Sein Blick war leer, sein Kopf bewegte sich langsam von der Kirche in Richtung Fluss, dann die Straße entlang zurück zum alten Kirchhof.
Plötzlich erschien das Leben wieder in Delamottes Gesicht. Er lächelte und sagte: „Irgendwo muss unser Mann geparkt haben. Das wird nicht in dieser kleinen Straße hier gewesen sein. Einbahnstraße, sehr eng, und ein deutsches Autokennzeichen könnte hier leicht auffallen.“
Edwin verstand, worauf der Deutsche hinauswollte. Der Psychologe fuhr fort: „Auf der anderen Seite der Kirche wird sein Wagen auch nicht gestanden haben, aber ich nehme an, am Marktplatz kann man parken, oder?“
Edwin schüttelte den Kopf: „Da sind nur ein paar Parkbuchten, die sind meistens belegt. Aber ich habe da eine andere Idee. Komm mit.“
Er führte Delamotte durch eine kleine Gasse, die direkt auf der anderen Seite der Kerkstraat ihren Ausgang nahm. Obwohl es Frühsommer und zu dieser Tageszeit noch sehr hell war, konnte sich Delamotte vorstellen, wie dunkel es hier schon in ein paar Stunden sein würde – und in der Nacht auf Gründonnerstag erst recht. Ziemlich rasch erreichten sie eine breite, recht stark befahrene Straße, auf der sich eine Vielzahl von Geschäften und Schnellrestaurants befand.
„Das hier ist die Hooge Straat“, sagte Edwin und wandte sich nach links. Etwa dreihundert Meter weiter lag eine große asphaltierte Fläche, an deren Rand Delamotte mehrere Parkscheinautomaten erkannte.
„Dieser Parkplatz hier am Cornelisplein ist der größte in der Innenstadt“, erklärte der Niederländer.
Delamotte sinnierte – er spürte, dass der Mann, den er jagte, auch schon einmal an diesem Platz gestanden hatte.
Auf dem Weg zurück zur Westerkerk fragte er Edwin: „Sag mal, wo kann man hier in der Stadt eigentlich richtig gut essen?“
Der junge Polizist war zwar ein wenig überrascht davon, dass der Deutsche gerade jetzt an Essen dachte, gab aber bereitwillig Auskunft: „Also, richtig gute Restaurants findest du da unten am Fluss. Es gibt zwar noch kleinere Containerschiffe, die hier regelmäßig anlegen, aber die Zeiten unserer Stadt als relativ bedeutender Handelshafen sind schon lange vorbei. Das läuft jetzt nur noch über Rotterdam. Der größte Teil unseres Hafens dient inzwischen den hier anlegenden Bootsbesitzern und natürlich auch uns Einheimischen als Freizeit- und Partymeile. Und als kulinarische Erlebniszone, da findest du gute Restaurants verschiedenster Richtung. Wo seid ihr denn überhaupt untergebracht?“
Delamotte hatte keine Ahnung – strenggenommen wusste er nicht mal, ob Lüttges überhaupt schon ein Hotel reserviert hatte. Edwin lächelte in sich hinein – ja, sein deutscher Gesprächspartner war Psychologe, das war nicht zu übersehen. Er hatte noch einen Tipp für Delamotte – den örtlichen Ableger einer internationalen Hotelkette, ganz in der Nähe des Hafens und in einer Preisklasse, die bei der Spesenabrechnung keine unangenehmen Rückfragen mit sich brachte. Vor ein paar Wochen waren ein paar seiner Freunde aus Italien dort abgestiegen.

Lüttges und Alvarez warteten bereits vor der Kirche. Delamotte bedankte sich bei Edwin und gesellte sich zu den beiden Kollegen.
„Die Kugel stammt definitiv vom Uhu“, sagte Alvarez, „daran kann kein Zweifel bestehen.“
Lüttges ergänzte: „Und ich denke auch, an deiner Vermutung bezüglich des Zeitraums dürfte einiges dran sein.“ Delamotte hörte ihm aufmerksam zu. „Seit einigen Jahren findet in dieser Kirche jährlich ein großes Osterkonzert statt. Die Vorbereitungen füllen fast die komplette Karwoche aus. Montag und Dienstag wird alles aufgebaut, die ganze Technik und so. Die erste Probe findet am Mittwochabend statt, die zweite am Donnerstag.“
„Mittwoch“, murmelte Delamotte und nickte. Dann ging er wortlos auf die Baumgruppe zu, die in einiger Entfernung rechts der Kirche stand. Alvarez war verwirrt; da Lüttges dem Psychologen folgte, tat er es ihm gleich.
Hier hast du gestanden, hier im Dunkel, den ganzen Abend lang. Warum? Du bist doch nicht blöd, du tust nichts, was dich deinem Ziel nicht näherbringt. – Du hast gewusst, dass dein Ziel irgendwann vor diese Türe treten würde. Du hast die Person beobachtet, schon an den beiden Tagen davor.
Delamotte bemerkte die fragenden Blicke von Lüttges und Alvarez. „Ich glaube, der Uhu hat hier an diesem alten Kirchhof auf Lauer gelegen“, erklärte er, „es ist dunkel genug, um keine Aufmerksamkeit zu erregen. Die Entfernung ist ein bisschen groß, aber er hat sie sich offenbar zugetraut.“
„Vielleicht hat er seine Fähigkeiten überschätzt“, warf Lüttges ein, „immerhin hat er sein Ziel verfehlt.“
Delamotte nickte: „Entweder das, oder…“ Abermals erschien es Alvarez, als ob der Psychologe schlagartig hinter einem unsichtbaren Schleier verschwand – er blickte mehrmals von der Kirche zu einer kleinen Gasse auf der gegenüberliegenden Straßenseite und zurück.
Es spielt gar keine Rolle, ob du wegen der Entfernung vorbeigeschossen hast oder aus irgendeinem anderen Grund, nicht wahr? Entscheidend ist: du hast nicht das geschafft, was du dir vorgenommen hattest. – Ist das vielleicht das zentrale Trauma in deinem Leben: Versagen? Versagensängste? Darüber müssen wir noch reden, aber nicht jetzt.
Er überquerte die Straße und blieb an der kleinen Gasse kurz stehen. Alvarez wollte etwas sagen, aber Lüttges machte ihm mit der Hand ein Zeichen. Offenbar kannte der Kommissar solche Momente schon – und es war wohl besser, still zu bleiben.
Du kanntest dich ja schon aus hier, das ist mal klar. Und es gab keinerlei Grund, am Ort deiner Niederlage zu verbleiben. – Du bleibst ja nicht mal lange an Orten deiner Erfolge, wenn man das so sagen darf. – Aber hier gab es für dich erst recht nur eine Option: weg von hier. Nichts wie weg.
Delamotte ging rasch die Gasse entlang. Alvarez bereitete es Schwierigkeiten, Schritt zu halten. Wie war es möglich, dass so ein pummeliger Bursche wie Delamotte derart gut zu Fuß war? Schnell erreichten sie eine größere Straße, der Psychologe bog links ab. Nach insgesamt etwa zehn Minuten, schätzte Alvarez, standen sie an einem großen Parkplatz.
„Hier stand sein Wagen“, erklärte Delamotte, „der Kerl kannte die Gegend schon. Er wird seine Zielperson bereits in den Vortagen beobachtet haben. Nach dem Schuss ist er direkt zum Auto gegangen, und ohne zu zögern nach Marßen zurückgefahren. Vermutlich ohne anzuhalten. Sofern er nicht auf dem Weg tanken musste.“
Lüttges überlegte: „Dann müsste der Schuss irgendwann gegen Mitternacht gefallen sein.“
Delamotte nickte: „Wir müssen rausbekommen, wie lange diese Konzertprobe gedauert hat. Und wer so spät noch vor Ort war, und wer von denen dann mal kurz vor diese Tür getreten ist. Auf wen hatte der Uhu es abgesehen?“
„Das bekommen wir hoffentlich morgen raus“, antwortete Lüttges, „Rigters will versuchen, alle Beteiligten von Konzert und Proben zusammenzutrommeln. Er gibt mir später noch Bescheid – erst mal müssen wir jetzt ein Hotel finden.“
Delamotte erwähnte Edwins Empfehlung. „Hat er vielleicht auch noch ein Restaurant empfohlen?“, warf Alvarez ein. „Mir knurrt der Magen.“
„Mir auch“, erwiderte der Psychologe mit einem Lächeln, „und ja, es gibt am Hafen wohl diverse gute Restaurants.“ Er wirkte wieder völlig entspannt, als hätte es die vorangegangenen Minuten nie gegeben. Für ihn selber, dachte Alvarez, galt dies nicht.