Heiliger Zaun

Hinter diesem blauen Gitter beginnt für Zehntausende von Fans der Mittelpunkt der Welt. Wer je als Fußballfreund in Buenos Aires ist, wird sie durchschritten haben: Die Absperrung rund um das Stadion von CA BOCA JUNIORS. (PiP1)
Die Pralinenschachtel („La Bombonera“) heisst dieser klotzige Betonkasten, der 1940 in das enge Arbeiter- und Migrantenviertel La Boca hineingequetscht wurde (PiP2). Bei Spitzenspielen dröhnen die Fangesänge so mächtig, dass man im ganzen Kiez das eigene Wort nicht mehr versteht. Dann drängen sich auf den Rängen 49.000 aufgekratzte Fans und machen das Stadion zu einem Tempel der Emotionen. Früher war es noch hitziger, denn die Arena fasst eigentlich 57.395 Menschen; einige Ränge bleiben derweil, zur Sicherheit, unbesetzt. Die vordersten Bänke sind anderthalb Meter vom Spielfeldrand entfernt.

Hexenkessel und Heiligtum

Das Stadion ist Spiegelbild seines Milieus im heutigen Stadtdistrikt 4 von Buenos Aires, das seit 1860 als Vorstadt-Ghetto entstand. Geprägt von Arbeitsimmigranten aus Italien sowie anderen Überlebenden von den Auswandererschiffen, die - meist bettelarm, verlaust und halb verhungert - hier mit entwurzelten Gauchos vom Lande und Desperados aus aller Herren Länder am stinkenden Hafenrand zu einem sozialen Brennpunkt zusammengepfercht wurden. Brutalen Bedingungen zum Trotz entstand eine Gemeinschaft: Brutstätte von Stolz, Anarchismus, Tango, Fußball… und das alles mit einer religiösen Inbrunst.

Es klingt verrückt: La Boca, das bis heute als Unterwelt, Ganovenzentrum und nächtliche No-go-area gebrandmarkt wird, verblüfft den Besucher durch Frömmigkeit im Alltag. Und gerade im Fußball ist das Überirdische gegenwärtig. Der Erzheilige heisst hier Diego Maradona, der den Ball schon mal mit der „Hand Gottes“ führte. Und von einer Balkonbrüstung gegenüber dem Stadion (PiP3) segnet eine Figur des Heiligen Vaters die (Fan-)Gemeinde.

In diesem Sinn wünsche ich euch den Holy Fence Friday und ein erleuchtetes Wochenende.