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Tag #844: Die Rückkehr des Führertums

Auf dem letzten Grundeinkommen-Stammtisch in Bremerhaven sprach einer der Teilnehmer von den Problemen, die ein Grundeinkommen nicht lösen würde, die einer Einführung eines BGE aber entgegenstehen. Eines dieser Probleme war das folgende:

Einer Einführung vorausgehen müsse eine entsprechende Forderung der Massen -- aber gerade die Deutschen würden ein zum BGE gegensätzliches Bestreben haben: Sie rufen noch immer nach einem Führer. Sie wollen eine Person stark machen, nicht alle. (Und sie brauchen einen Feind in den eigenen Reihen, der besonders schwach und für das eigene Schicksal verantwortlich gemacht werden soll. Früher "Juden", heute "Hartzies".)

Ich halte diese Behauptung für leider sehr zutreffend und entnehme den zahlreich veröffentlichen "Beliebtheitsumfragen" auch die Gruppe der Menschen, aus denen heraus der neue Führer aufgebaut werden soll. Es sind ausgerechnet die Menschen, die ich schon seit einiger Zeit als die schlimmsten Politiker wahrnehme, die Deutschland seit dem 3. Reich hervorgebracht hat.

Meine persönlichen Symbolfiguren für faschistoide Politik sind nämlich seit etwa drei Jahren u.a. insbesondere Ursula von der Leyen, Kristina Schröder (geb. Köhler) -- und auch Karl-Theodor zu Guttenberg. Eine verschworene Clique so allerübelster Zielstellung, dass ich politisch geworden bin, weil ich mich an die deutsche Geschichte erinnert fühlte: An eine Zeit, in der die Menschen genau das hatten, was sie wollten (nämlich einen Führer und einen Feind in den eigenen Reihen), bzgl. der Implikationen aber sagen konnten, das alles nicht gewusst zu haben.

Dabei war mir anfangs gar nicht klar, wo die Sache hinlaufen soll. Ich sah nur die zahlreichen Projekte dieser Gruppe, mit denen strukturelle Änderungen in Recht und Kultur Deutschlands geschaffen werden sollten, die es verunmöglichen, dass sich "das Volk" gegen zunehmende Überwachung, Unterdrückung und Willkür zur Wehr setzen kann. Erst in letzter Zeit wird mir zunehmend klarer, worum es wirklich geht. Ich kann nun also endgültig nicht mehr sagen, ich hätte das alles nicht gewusst. Und ich kann mich auch nicht damit rausreden, dass ich ohnehin nichts tun kann. Jeder kann was tun. Jeder muss!

Und viele Menschen tun es auch. Heute morgen las ich z.B. eine Erklärung von Judith Holofernes von "Wir sind Helden". Sie schreibt (im Moment steht der Text -- weil der Server zusammengebrochen ist -- direkt auf http://www.wirsindhelden.de/) u.a. dies über eines der Werkzeuge der neuen Faschisten:

Die BILD-Zeitung ist kein augenzwinkernd zu betrachtendes Trash-Kulturgut und kein harmloses “Guilty Pleasure” für wohlfrisierte Aufstreber, keine witzige soziale Referenz und kein Lifestyle-Zitat. Und schon gar nicht ist die Bild-Zeitung das, als was ihr sie verkaufen wollt: Hassgeliebtes, aber weitestgehend harmloses Inventar eines eigentlich viel schlaueren Deutschlands. Die Bildzeitung ist ein gefährliches politisches Instrument — nicht nur ein stark vergrößerndes Fernrohr in den Abgrund, sondern ein bösartiges Wesen, das Deutschland nicht beschreibt, sondern macht. Mit einer Agenda.

Ich kann das nur voll unterstreichen. Ein ganz exzellenter Text zum Thema "Rückkehr der Faschisten", "erneutes Führertum" und "erschreckendes Rechts- und Demokratieverständnis" der genannten Politikergruppe kam gestern auch von Erich Sturm von der Piratenpartei Bremen. Er schlägt die Brücke zur aktuellen Guttenberg-Diskussion um die Erschleichung seines Doktortitels. Mir wird eigentlich regelmäßig schlecht, wenn es heißt, dass Guttenberg nicht (nach fachlicher Prüfung durch die Universität) ggf. juristisch belangt werden soll, sondern dass er politisch zurückzutreten habe. Denn was hat das eine (Erschleichung eines Doktortitels) mit dem anderen (Unterwanderung des demokratischen Systems mit faschistischen Zielen) zu tun? Ich will, dass man sich ihm politisch entgegenstellt, und nicht -- unter Ausklammerung des Politischen (!) -- als Person demontiert.

Aber um persönliche Demontage ging es Sturm auch nicht (was seinen Beitrag positiv von den tausenden im Netz abhebt). Es geht ihm um die Rückkehr des Führertums, um die "repräsentative Demokratie". Er schreibt: "Nicht ein Einzelner muss stark gemacht werden, sondern jeder Einzelne!". Und er bringt das Zitat "Ich fürchte mich nicht vor der Rückkehr der Faschisten in der Maske der Faschisten, sondern vor der Rückkehr der Faschisten in der Maske der Demokraten.". Genau diese Furcht war meine Motivation für mein Engagement bei der Piratenpartei.

Mein heute morgen hochgeladenes Foto zeigt ein Hakenkreuz -- es geht um eine Informationsveranstaltung über die Struktur und Politik der rechtsextremen Szene. Dieses Problem sehen fast alle Menschen. Aber Sarrazin-Buchkäufer und Von-der-Leyen-Gutfinder haben ein Hakenkreuz in ihrem Kopf! Und das ist das deutlich größere Problem.

Fazit: Guttenberg muss nicht weg, weil er bei seiner Dissertation betrogen hat, sondern er muss weg, weil Deutschland keinen Führer braucht, sondern ein Grundeinkommen.

3 comments

York said:

Als Nachtrag hier noch ein Bild von zwei der genannten Herr-Schaften:

Proll-Adel
13 years ago ( translate )

diedje said:

wie wäre es, wenn du mal insgesamt den führerkult in den parteien beleuchtst? wer war joschka f. wer ist die momentane führungselite der grünen? wie verarschen uns die identifikationsfiguren/ führer der parteien? war jörg tauss dabei eine führende rolle in der piratenpartei einzunehmen? wenn da nichts dazwischen gekommen wäre. irgend wo gab es neulich zu hören/lesen? demokratie funktioniert nur wenn die lebensverhältnisse der menschen einigermaßen gleich oder gerecht sind.
komisch es wird immer von steuerSÜNDER aber hartz4-BETRÜGER gesprochen. eine interessante sicht der dinge.
13 years ago ( translate )

York replied to diedje:

Über Joschka F. und die Geschichte der Grünen lese ich gerade den neuen Ditfurth ("Krieg, Atom, Armut. Was sie reden, was sie tun: Die Grünen"). Fischer war allerdings keine Führerfigur für dumme Wähler, sondern jemand, der (mit anderen) aus Karrieregründen eine Partei gekapert hat, um mit ihr nachhaltig das Gegenteil dessen anzurichten, für was die Partei bis dahin stand.

Jörg T. wiederum hätte (so meine Meinung) niemals eine führende Rolle in der Piratenpartei eingenommen -- auch nicht wenn er nicht über die K-Frage gestolpert wäre. Und zum Wähler hin hat auch der nichts von einem Führer. (Allerdings wäre er ohne die K-Frage wohl nie zu den Piraten gegangen.) Ab gesehen davon halte ich die Piratenpartei für überbewertet. Die Themen für die sie steht, lassen sich in der Organisationsform Partei nicht erwähnenswert beflügeln.

Deinen Satz "demokratie funktioniert nur wenn die lebensverhältnisse der menschen einigermaßen gleich oder gerecht sind" kann ich nur voll unterstreichen. Schwierig zu beantworten sind allerdings die Fragen, wie man das erreicht. (Und ein paar Dinge mehr als das braucht es auch noch, damit Demokratie funktionieren kann.) Ich habe da ein paar persönliche Instrumente als Favoriten (Grundeinkommen, Netzneutralität, Bildungszugang, usw.), aber auch keine allüberzeugende konsensfähige Lösung parat.

Aber wenigstens machen sich immer mehr "einfache Leute" wie ich überhaupt solche Gedanken...
13 years ago ( translate )