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Gute Fotos? - Laudatio
In Zeiten von Instagram, iPhone, Selfies und Selfiesticks gerät ernsthafte Fotografie immer mehr ins Abseits. Hier und auch auf anderen Plattformen lese ich immer wieder Beiträge, die sich kritisch mit der dieser Entwicklung auseinander setzen. Daher möchte ich hier die Laudatio anlässlich der Vernissage der 40. Jahresausstellung des Fotoclubs Sinsheim vom 12.9.2016 einstellen, die sich ebenfalls mit diesem Problem auseinender setzt.
Guten Abend meine Damen und Herren,
wieviele Nullen hat eigentlich eine Milliarde? An dieser Frage ist vor rund 20 Jahren auch schon mal ein Bundeswirtschaftsminister gescheitert, der Mann war nicht bange zu erklären „das zu wissen, dafür habe er seine Experten “. Und bei einem bekannten Moderator hatte am vergangenen Samstag in der Sportschau die Mrd. auch nur 7 Nullen, und damit zwei zu wenig. Und was ist mit 100 Milliarden? Genau, es sind zwei Nullen mehr, also insgesamt 11. Warum frage ich das hier und in diesem Zusammenhang?

Weil derzeit allein in Deutschland pro Jahr ca. 100 Milliarden Fotos gemacht werden! Glauben Sie nicht? Doch, stimmt aber, die Zahl ging vor ein paar Tagen angesichts der vor der Tür stehenden Photokina durch die Medien. Wenn man das mal grob runterrechnet sind das 3 Fotos pro Bundesbürger am Tag - Säuglinge und Greise eingeschlossen - oder 6 Fotos pro Smartphone am Tag. In Zeiten von Selfie-Sticks, billigen Smartphones und Kameras und fast kostenlosen Speichermedien ist das durchaus plausibel.

Und - wen’s interessiert: Würde man das alles herunterladen - was ja hoffentlich nicht geschieht - würde das grob geschätzt ca. 10.000 1 TB Festplatten füllen - liefen die täglich nur eine Stunde würden sie übers Jahr ca. 40.000 kWh oder ca. 12.000 € an Energie verbraten. Unglaubliche Zahlen und nachhaltig ist anders, oder …

Allerdings kann man auch davon ausgehen, dass von diesen 100 Mrd Fotos 99 Mrd und 999 Millionen überbelichtet, unterbelichtet, verwackelt, unscharf oder total nichtssagend und belanglos sind. Von der verbleibenden Million brauchbarer Fotos gehen noch mal etliche verloren durch Festplattencrash (jaja, wieder mal nicht gesichert …), Verlust der Speicherkarte, versehentliches Löschen, Überschreiben, Kamera geklaut usw. Und von dem verbleibenden Rest sehen Sie hier eine kleine aber repräsentative Auswahl.

Warum erzähle ich ihnen das? Weil durch die technische Entwicklung der vergangenen 20 Jahre die Wertschätzung für Fotos ins Bodenlose gesunken ist und weil wir uns immer öfter Fotos ansehen – müssen -, die einfach nur grottenschlecht sind. Die von mir sehr geschätzte Jaqueline Esen schreibt dazu in ihrem Fotoblog ironisch: Urlaubsfotos zeigen steht leider immer noch nicht auf der Liste der weltweit geächteten Foltermethoden, es ist also nach wie vor völlig legal.

Aber was ist denn eigentlich ein gutes Foto? Und wie so oft ist die Antwort auf so eine Frage: Das kommt ganz darauf an. Auf was denn? „Gut“ und „schlecht“ sind in der Fotografie wie auch in anderen Disziplinen „mehrdimensional“. Dabei geht es z.B. um:

• Technische Qualität – das ist schlicht Handwerk, das kann jeder mit einer ordentlichen Kamera lernen
• Fotografische Aussage – das ist der kreative Teil und der ist nicht jedem gegeben
• Gestaltung – das ist beides, Handwerk und Kreativität, Regeln beachten oder auch bewusst missachten!
• Ästhetik – ein sehr subjektives Kriterium, jeder hat seine eigene Ästhetik.
• Emotionalität - was soll das Bild beim Betrachter auslösen?
• Originalität – Hier ist das Auge des Fotografen gefordert!

Ein perfekt belichtetes und knackscharfes Foto kann eben trotzdem schlecht sein, wenn es ohne Aussage daherkommt, ebenso kann ein unscharfes Foto durchaus gut sein. Es kommt eben auf unsere Erwartungshaltung und Interpretation des Gesehenen an. Dabei spielen Assoziationen, eigene Erinnerungen und Wiedererkennen eine maßgebliche Rolle. Unsere Bewertungen von Bildern sind immer subjektiv und abhängig von unserer Lebenserfahrung und unseren Vorstellungswelten. Deshalb gibt es mitunter auch unterschiedliche Meinungen dazu, die man akzeptieren und zulassen muss.

Für mich selbst habe ich im Laufe der Jahre zwei Kriterien entwickelt, an denen ich meine Bilder messe – Warum jetzt mit einem Mal Bilder und nicht Fotos, dazu gleich mehr.
Erstens: Erzählt das Bild seine Geschichte selbst? Wenn ja ist gut, wenn ich es erklären muss, taugt das Bild nichts.
Zweitens: Kann ich spontan einen Titel für das Bild vergeben? Wenn ja ist gut, wenn das nicht gelingt, taugt das Bild nichts weil es ohne Aussage daher kommt.

Das sind meine Kriterien, Ihre können durchaus anders sein. Ansonsten halte ich es wie mit einem Rotwein, wenn er mir schmeckt, ist er gut, egal was er kostet und was die Sommeliers dazu sagen.

So, und wie ist das jetzt mit Fotos und Bildern: Eigentlich wie zu analogen Zeiten: Fotos sind auf dem Film oder der Speicherkarte, ein Bild wird daraus durch die Entwicklung und Bearbeitung, sei es wie früher in der Dunkelkammer oder wie heute in Photoshop oder Lightroom oder was immer sie dafür nutzen.

Von selbsternannten Foto-Puristen müssen wir uns mitunter dazu anhören, dass sich das nicht gehöre, weil es unauthentisch ist. In meinen Augen ist das Unsinn, weil die Bilder der großen Fotografen des vergangenen Jahrhunderts alle ihren letzten Schliff in der Dunkelkammer bekommen haben, wir Amateure – die keinen Zugang zu einer Dunkelkammer hatten – mussten aber mit dem Vorlieb nehmen, was die Automaten damals ausspuckten. Was wir heute bei der Bearbeitung unserer Fotos machen, ist ein sehr kreativer Prozess, dabei entsteht aus einem schnöden Foto oft ein besonderes Bild.

Und das unterscheidet uns eben auch von den Leuten mit dem Selfie-Stick: Wir wollen Bilder machen, die auch andere interessant finden und die wir nicht erklären müssen. Die reine Reproduktion des Gesehenen reicht dabei heute oft nicht mehr aus, weil es eben so unendlich viele Fotos gibt und die unbearbeiteten Abbildungen eines Objektes zunehmend uninteressanter werden. Schon die Farbwiedergabe heutiger Kameras sorgt für eine Überhöhung der Wirklichkeit: Unsere Bilder sind bunter, detailreicher und schärfer als je zuvor.

Dank der digitalen Technik ist die Zeit der Zweiklassenfotografie vorbei. Das ist Segen und Fluch zugleich, denn hier schließt sich der Kreis, denken Sie an die 100 Mrd. Fotos die pro Jahr in Deutschland geschossen werden.

Ich hoffe, dass die Auswahl von ca. 120 Bildern, die wir Ihnen hier heute präsentieren, Gnade unter Ihren kritischen Augen findet. Neben dem Sonderthema „Arbeitswelten“, zu dem Sie - für uns selbst überraschend - viele Arbeiten finden, gibt es wieder einen Querschnitt der Arbeiten der Teilnehmer aus den vergangenen 12 Monaten. Da jeder etwas anderes in seinem fotografischen Portfolio hat, andere Interessen und Schwerpunkte hat, werden Sie hier wieder die ganze Welt im Großen und im Kleinen und das pralle Leben finden.

Und einen überaus lebendigen Austausch bringt so eine Veranstaltung im Vorfeld auch immer mit sich: Wer hängt und wann, wo sind eigentlich die Nägel für die Haken geblieben, was soll auf den Schildern stehen, Oh meine Güte, ich muss ja noch bestellen, Ich hab dieses Mal sowieso nichts zum Thema, usw. usw. Geklappt hat’s trotzdem wieder … wie jedes Jahr.

Und noch eine persönliche Bemerkung sei hier zum Schluss erlaubt. Unser Club ist mit ca. 35 Mitgliedern - von denen etwa 15 zum „harten Kern“ gehören – zwar relativ klein aber dennoch ziemlich rührig. Das danken wir im Wesentlichen Dir, Robert, das muss auch mal gesagt werden. Danke für dein Engagement, ich freue mich sehr, dass ich Teil hiervon sein darf, es macht einen riesigen Spaß mit euch allen.

Vielen Dank und einen schönen Abend.

45 comments

Stormlizard said:

Well written Lutz, as you point out 'Perfectionis in the ee of the viewer' but may differ greatly from the photographers own eye.
7 years ago

Taormina said:

Woher soll die Zahl 100.000.000.000 stammen?
Sicher, Facebook und Instagram erreichen diese Zahl an
Bildern in einem Jahr schon alleine... aber dann sind doppelte
nicht berücksichtigt und dabei geht es um die Bilder Weltweit.
Vielleicht sollte dem Fotoclub einfach nur mal nahegebracht
werden das sich die Zeiten geändert haben seitdem vor fast
200 Jahren das erste mal jemand ein Foto gemacht hat.
7 years ago ( translate )

LutzP replied to Taormina:

...kopfkratz ...

Muss ich das jetzt verstehen, Katja?
7 years ago ( translate )

Taormina replied to :

Wenn man will, dann ja
7 years ago ( translate )

Chrissy said:

Eine schöne Rede, von der Art würde ich gerne mehr lesen :-)
7 years ago ( translate )

cp_u said:

Ich finde die Laudatio bzw den Artikel sehr gelungen. Pointiert, ein schöner Denkanstoß!
Davon könnte man hier sicher mehr haben. Das wäre eine Bereicherung.
7 years ago ( translate )

LutzP replied to cp_u:

Vielen Dank cp, das eine oder andere ist schon noch da ;-))
7 years ago ( translate )

Heidiho said:

Spannend und nachdenkenswert - gerade in unserer aktuellen Situation .....
schicke den Link mal grade weiter an ein paar meiner "Kontakte", "Follower", "Abonnenten" oder wie auch immer das jetzt auf neudeutsch heißt .....
7 years ago ( translate )

LutzP replied to Heidiho:

Danke Heidi, freut mich. Ich fand auch, dass das im Moment gerade mal ganz gut passt. Und offenbar gibt es wohl einen Zusammenhang mit dem Sterben von Fotoplattformen
7 years ago ( translate )

Ulrich John said:

Sehr gelungen ! Dank an Heidi fürs weiterleiten ! Bringt viele Sachen auf den Punkt. Dank an Lutz fürs Veröffentlichen. Wäre spannend, sich mal weiter mit den Kommunikationsformen und der ästhetischen Produktion, die eine Wegwerfgesellschaft produziert, zu beschäftigen. Die Veränderung der Photographie und der photographischen Sichtweise ist durchaus ein Resultat gesellschaftlicher Verhältnisse. Und Walter Bejamins Aufsatz 'Das Kunstwerk im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit' ist immer noch lesenswert.
7 years ago ( translate )

LutzP replied to Ulrich John:

Richtig Ulrich, der gesellschaftlichen Verhältnisse aber auch der technischen Möglichkeiten. Den Aufsatz von Walter Benjamin kenn ich nicht, aber in Wikipedia gibt's dazu einen Artikel. Danke für den Hinweis.

de.wikipedia.org/wiki/Das_Kunstwerk_im_Zeitalter_seiner_technischen_Reproduzierbarkeit
7 years ago ( translate )

LotharW said:

Wie schön, da fällt mir sofort Labor-Belichtungsmesser, Zeitschaltuhr, Laborleuchte und Co. ein...

Und natürlich der herrliche Geruch von Entwickler- und Fixierflüssigkeit.

Wahre Worte besser geht's kaum. Danke für's Einstellen Lutz.
7 years ago ( translate )

LutzP replied to LotharW:

Danke Lothar, ich bin ja quasi in der Dunkelkammer aufgewachsen und habe dort of meinem Vater fasziniert bei der Arbeit zugesehen. Nur den Geruch von Entwickler fand ich nicht so prickelnd. Aber das Entstehen von Bildern im Entwicklerbad aus dem Nichts war immer spannend. Und auch die Sapnnung, wie es nun später bei TAgeslicht aussieht ...
7 years ago ( translate )

klaus 040 said:

Vielen Dank für diese aufschlussreiche Laudatio, Lutz. Darin kommt Vieles vor, das mich auch bewegt, aber durchaus nicht immer. Ich habe nicht immer den Anspruch ein Kunstwerk mit all den angesprochenen Kriterien zu schaffen. Manchmal geht es mir einfach nur darum, auf etwas sehenswertes aufmerksam zu machen. Ich finde, das muss auch möglich und erlaubt sein. Trotzdem gehört da natürlich auch rein, dass selbst solche Fotos Geschichten erzählen. Sonst braucht man sie nicht zu veröffentlichen.
Danke auch an Heidi für den Link!
7 years ago ( translate )

Valfal said:

A very good article and a good subject to ponder. In the days before digital photography, it was so much easier to stand out in the crowd and make a living without all the competition. Now the ability to take a quality photo is accessable to people even like me who feared the technical complexities. I can be creative and artistic in ways never dreamed of before. It is both good and bad. Good because people like me discovered my 'eye' for the camera, so to speak, and can now express myself in a way I couldn't before. Bad, because now the bar is set higher, and photographers who wish to make a living on taking pictures must work harder to stand out in the crowd.

That being said, the quality of good photography can only improve with all the competition. I can see the difference; so many great shots, even as the amount of mediocre shots increase. It seems one always has to sift through the "selfie" dross to find the treasure; the more treasure there is to be found, the more dross to sift through, lol! Thanks to Heidi for bringing this article to my attention. ;-)
7 years ago