"Ich hatte das Problem der freien Rede völlig unterschätzt. Ich dachte, ich weiß doch, was ich denke, los gehts. Was dann losging, war aber nicht Text, nicht Rede, nicht der geordnete Ablauf einer theatral frei geordneten Situation, sondern Panik, Horror, und zugleich ein intensiver Moment von Authentizität, von wirrem Wollen, von Anspannung, Blackout, Ratlosigkeit und isolierten Inseln des Richtigen, sich realisierender Gegenwart von Denken. Es war ein Moment der Wahrheit, unwiederholbar."
Abfall für Alle, V 7.7 (04.10.1998, 14.52)
1 comment
Carl M. Einstein said:
Texte zur Kunst: Fassbinder schickt den Film sozusagen durch seinen eigenen Körper. Ist das eine Option, mit der man heute arbeiten kann?
Petzold: Klaus Theweleit fordert diese Authentizität angesichts der völlig zerstörten Bildwelten und Verhältnisse in der Bundesrepublik. Die Gegenstrategie besteht für ihn darin, unter Einsatz des eigenen Lebens einen Film zu machen. Dann landet man schließlich, wie seinerzeit Rainald Goetz, in Klagenfurt und versucht, mit der Rasierklinge die Juroren zu überzeugen. Auch wenn ich sonst ein Riesenfan von Goetz bin, bin ich hier völlig anderer Meinung. Ich fand an Fassbinders Beitrag gerade nicht das Moment des Authentischen interessant, denn diese Szenerie ist ja auch eine Fiktion. Fassbinder zeigt in einem historischen Moment, dass er nicht fähig ist, an Douglas Sirk zu denken, etwas nicht in einen wunderschönen Titel zu kleiden wie "Liebe ist kälter als der Tod". Es gibt Momente im Leben, in denen man keine Liebesbriefe schreiben kann, keine Form hinbekommt, keine Zeit hat. Dass er sich diesem Moment stellt, in dem ihm als Künstler und Autor alles aus den Händen gleitet, das fand ich eben nicht authentisch im Sinne von Geniekult und einer Künstlerfigur, die die Realität absorbiert.
http://www.textezurkunst.de/43/der-fliegende-hollander