Tschernobyl und die Folgen in Zahlen
Durch das Reaktorunglück besteht ein erhöhtes Krebsrisiko bei über 600 Millionen Menschen in Europa.
Eine Mutter trauert um ihren Sohn, der durch Arbeiten am zerstörten Reaktor umgekommen ist.
Moskau. Die Schreckensbilder der Atomkatastrophe von Tschernobyl mit den verstrahlten Einsatzhelfern und Menschen auf der Flucht sind bis heute im Gedächtnis. Wie viele Menschen genau an den Folgen des Super-GAU starben oder immer noch an tödlichen Krankheiten wie Krebs leiden, ist umstritten. Einige Zahlen verdeutlich das Ausmaß des bisher folgenreichsten Atomunglücks:
- TODESFÄLLE: Zwischen 10 000 und mehr als 100 000 Todesopfer hat die Atomkatastrophe je nach Sichtweise bislang gefordert. Die Zahl schwankt, weil oft ein direkter Zusammenhang zwischen Radioaktivität und einer Krankheit oder der Todesursache schwer nachzuweisen ist.
- KRANKHEITEN: Über 600 Millionen Menschen in Europa sollen nach Angaben von Atomkritikern gesundheitlich von der Katastrophe in Tschernobyl betroffen sein, weil sie erhöhter Strahlung ausgesetzt sind. Ärzte sehen darin ein Risiko für Krebs und andere Krankheiten.
- EVAKUIERUNG: Eine 30 Kilometer große Sperrzone um den Reaktor wird bis heute streng bewacht. Insgesamt war ein Gebiet von mehr als 200 000 Quadratkilometern in der Ukraine, Weißrussland und Russland stark betroffen. Mehr als 100 000 Menschen wurden umgesiedelt.
- LIQUIDATOREN: Zwischen 600 000 und einer Million „Liquidatoren“ hat die damalige Sowjetregierung für Aufräumarbeiten verpflichtet, die meisten von ihnen junge Soldaten. Mehr als 100 000 von ihnen sind nach Schätzungen gestorben. Über 90 Prozent gelten als schwer krank.
- STRAHLUNG: Rund 190 Tonnen radioaktives Material lagern nach Schätzungen allein noch im Reaktor 4. Darunter sind Strahlengifte wie Cäsium, Strontium und vor allem Plutonium. Cäsium-137 ist über die Sperrzone hinaus in vielen Lebensmitteln nachweisbar.
- SARKOPHAG: Ein 29 000 Tonnen schwerer Sarkophag soll den Unglücksreaktor künftig abdichten - wann, ist aber unklar. Für das Jahrhundertprojekt sind 1,6 Milliarden Euro Baukosten veranschlagt. Die Maße: 110 Meter Höhe, 164 Meter Breite und 257 Meter Länge.
- ATOMKRAFTWERK: Rund 3500 Menschen arbeiten heute noch in dem seit 2000 komplett stillgelegten Atomkraftwerk Tschernobyl. Sie fahren jeden Tag in die Sperrzone, um vor allem die anderen drei Reaktoren zu sichern. Dort befindet sich noch nukleares Brennmaterial.
25 Jahre nach Gau strahlt noch jede fünfte Wildsau
Der Unfall von Tschernobyl jährt sich heute und noch immer muss belastetes Wildschweinfleisch vernichtet werden.
Landkreis Kehlheim. Wer in Bayern Wildschweinfleisch in den Handel bringen will, muss es auf radioaktive Strahlung messen lassen. Wie das Bayerische Landesamt für Umwelt auf seiner Homepage mitteilt, variiert die Belastung auch 25 Jahre nach Tschernobyl noch stark. Im Landkreis verfügt der Kreisjagdverband über zwei Mess-Stellen: beim Kelheimer Tierarzt Dr. Rupert Sommer und bei Othmar Pflegerl in Train. Wenn die Proben mit mehr als 600 Becquerel pro Kilo belastet sind, darf das Wildbret nicht in den Handel gelangen. Für dieses Fleisch erhalten die Jäger eine Entschädigung vom Bundesverwaltungsamt.
Tierarzt Dr. Sommer sagt, etwa 20 Prozent der Wildschweinproben, die ihm vorgelegt werden, wiesen einen Grenzwert über 600 Becquerel auf. In den Wintermonaten liege die radioaktive Belastung wesentlich höher als im Sommer, weil die Tiere in der kalten Jahreszeit ihre Nahrung hauptsächlich im immer noch verseuchten Boden suchen. Im Waldboden reichert sich Radioaktivität besonders an, da sie über die im Herbst fallenden Blätter wieder in den Boden zurück kommt. Anders in der Landwirtschaft: Hier findet keine Anreicherung statt, da die Felder immer wieder abgeerntet werden und so kein Kreislauf entstehen kann.
Fall-out nördlich der Donau
Dr. Rupert Sommer kann sich noch erinnern, dass beim GAU von Tschernobyl 1986 im Landkreis vor allem nördlich der Donau radioaktiver Regen niederging. Auch damit kann die unterschiedliche Belastung der Wildschweine zusammenhängen. Der Tierarzt gibt zu bedenken, dass zwar Wildschweinfleisch gemessen wird, nicht jedoch die genauso verstrahlten Pilze, die manche Verbraucher viel öfter genießen.
Thomas Obster, Kreisvorsitzender des Bayerischen Bauernverbands, ist froh, dass die von Landwirten produzierten Lebensmittel heute nicht mehr belastet sind. Das bestätigt auch das Bayerische Landesamt für Umwelt in Augsburg. Mit Schrecken denkt er an den Molkezug, der 1986 monatelang in einer Kaserne bei Straubing stand, weil den verstrahlten Inhalt niemand wollte, und an die Vernichtung von Grünfutter und Gemüse. Sein Fazit, auch aus Fukushima, mit dessen Bauern er mitfühlt: Isar 1 muss vom Netz. „Das ist eine der alten Mühlen, die müssen ganz abgeschaltet werden.“ Sicherheitsstandards aus den 60-igern reichten nicht aus. Obster plädiert für einen allmählichen Atom-Ausstieg.
Anlass für politisches Engagement
Für Kreisrat Peter-Michael Schmalz war der GAU von Tschernobyl der Anlass dafür, 1988 zur ÖDP zu gehen und zwei Jahre später erstmals für den Kreistag zu kandidieren. Damals hätten Politiker gesagt: „Wir müssen daraus lernen.“ Geändert habe sich aber nichts. Das zeige der japanische GAU deutlich. „Eine Sauerei, wie sorglos mit den Menschen umgegangen wird“, urteilt Peter-Michael Schmalz. Seit Tschernobyl kämpfe er gegen den Reaktor Isar 1. Er mache immer wieder darauf aufmerksam, dass Langquaid, Volkenschwand und Mainburg in der 30-Km-Zone liegen, die bei einem GAU geräumt würden.
In Mainburg lebt meine Tochter zusammen mit meinem Schwiegersohn
MZ (Mittelbayerische Zeitung) - Spezial - zu 25 Jahre Tschernobyl:
http://www.mittelbayerische.de/index.cfm?pid=13458
0 comments