Loading
EDE: "neuer Politikstil", wenig Substanz

Vor einigen Jahren hat eine Gruppe Esperantosprechender eine neue Partei gegründet, die nur auf europäischer Ebene bei den Wahlen zum Europäischen Parlament ins Rennen gehen sollte: EDE (Europa Demokratie Esperanto). Ihre deutsche Sektion verspricht einen "neuen Politikstil im Zeichen des Dialogs" (www.e-d-e.eu/pageID_6263423.html):

"EDE ist neu und will anders sein als die anderen zur Wahl stehenden Parteien und Listen. EDE lässt sich nicht in das bekannte politische Spektrum einordnen und ist nicht links oder rechts und folgt keiner Ideologie, sondern steht für Dialog, Gleichberechtigung, gegenseitige Achtung und Toleranz, Offenheit und Transparenz, Freiwilligkeit und Selbstbestimmtheit, Frieden und Freundschaft, gesellschaftliches Engagement und solidarisches Miteinander. Diese auch die Idee des Esperanto tragenden Säulen sollen die Grundlage für die Arbeit von EDE bilden."

"Erhält EDE wider Erwarten nicht mehr als fünf Prozent der Wählerstimmen, wird EDE sich nicht für die nächsten fünf Jahre in ein Schneckenhaus zurückziehen oder sich gar auflösen."

Eine viel realistischere Einschätzung der Chancen von EDE finden wir in einem internen (auf Esperanto verfassten) Dokument von Ulrich Matthias, dem stellvertretenden Vorsitzenden der deutschen EDE-Sektion: http://www.u-matthias.de/verein/ede_eo.htm.

"In den meisten Ländern bestehen für den Einzug ins Europäische Parlament relativ hohe Hürden – in Deutschland etwa braucht eine Partei dazu mindestens 5 % der Stimmen. Mit dem Sprachproblem als Hauptthema ist es wahrscheinlich nicht möglich, diese Hürde zu überspringen, und es wäre ebenfalls kaum möglich, eine Nische zu finden, in der durch ein attraktives allgemeines Programm (in dem Esperanto nur eines der Ziele wäre) genug Stimmen zu holen wären. EDE-Abgeordnete zu haben, könnte also nur für die ferne Zukunft ein Ziel sein." [meine Übersetzung]

Es würde mich wundern, wenn die anderen deutschen EDE-Anhänger diese nüchternere Einschätzung nicht teilten. Wenn das so ist, dann sehen wir hier etwas, was dem Politikstil von Parteien des "bekannten politischen Spektrums" doch sehr ähnelt: Politiker, die den Wählern etwas vorgaukeln (hier: dass EDE wirklich Chancen hat, ins Europäische Parlament einzuziehen), woran sie selbst nicht glauben. Wo bleiben "neuer Politikstil", "Dialog", "Offenheit" und "Transparenz", die versprochen werden?

EDE-Anhänger rechtfertigen die Mühen des Wahlkampfes manchmal mit den kostenlosen Fernsehwerbespots, die zugelassene Parteien in vielen Ländern ausstrahlen dürfen, auch in Deutschland. In Frankreich hat das 2004 geklappt. Wer sich an der Unterschriftensammlung beteiligen will, hat also allen Grund, die geplanten Werbespots genau anzuschauen, bevor er oder sie Zeit und Mühe für die Sache verausgabt.

Wir wissen nicht, wie die Werbespots 2009 aussehen werden. Die vom Wahlkampf 2004 können wir aber kennen lernen: http://www.facebook.com/video/video.php?v=58865895124&oid=24025090839 und http://www.facebook.com/video/video.php?v=58863380124&oid=24025090839. Sie sind geschickt gemacht, was vielleicht auch für 2009 Einiges verspricht. Die graphischen Qualitäten der EDE-Flugblätter verdienen auch Lob.

Positiv ist also, dass EDE, oberflächlich betrachtet, ein professionelles Aussehen hat. Positiv ist auch, dass alle, die EDE nur auf ihrem Wahlzettel sehen (in den Ländern, wo EDE es so weit bringt), wenigstens das Wort "Esperanto" zu sehen bekommen. Nicht zu verachten, da es sich um Millionen handelt.

Aber die Gesamtbilanz der Öffentlichkeitswirksamkeit ist nicht so positiv. Was ist mit den politisch Interessierten, die neugierig werden und Information über EDE im Internet suchen? Wer eine Suchmaschine gebrauchen kann, findet leicht den Weg zum EDE-Wahlprogramm (http://www.e-d-e.org/spip.php?rubrique3&lang=de). Und was finden Neugierige dort?

Zunächst einmal: das Programm beschränkt sich auf Angelegenheiten, die bei den EDE-Anhängern konsensfähig sind. Über die meisten EU-Fragen, etwa über den Verfassungsvertrag, hat es nichts zu sagen. Über "Identität", "Wurzel" u.ä. hat es dagegen viel zu sagen, da Solches nach EDE-Verständnis Kernfragen der Politik zu sein scheinen, über die Esperantisten sich leicht einig werden.

Dass das Programm nicht die größte Priorität der Mitglieder ist, zeigen sprachliche und stilistische Mängel im esperantosprachigen Urtext, die die Übersetzer in den nationalsprachlichen Fassungen in verschiedener Weise ausgeglättet haben.

Ein Kapitel heißt "Demokratie heißt auch Respektierung der Minderheiten". Wir lesen:

"Das Fortbestehen der Minderheiten erfordert Schutzmaßnahmen, z.B. um die zum Weiterbestehen einer Sprache, einer Kultur oder einer Bevölkerungsgruppe notwendige Bevölkerungsdichte zu erhalten." In der Geschichte Europas wurden hierzu Maßnahmen wie Einwanderungsbeschränkungen, Bevölkerungstransfers und ethnische Säuberungen ergriffen. Ich nehme nicht an, dass die Mitglieder von EDE so etwas wollen. Was aber vermuten Leser dieses Programms, die Esperanto und Esperantosprechende nicht kennen? Spricht ein Parteiprogramm von Maßnahmen zur Regelung der ethnischen Zusammensetzung von Gebieten, dann wäre es gut zu wissen, was für Maßnahmen vorgeschlagen werden. Und auch wenn es maßvolle und menschenwürdige sind (was wir nicht wissen, solange EDE uns nicht davon in Kenntnis setzt), ist es überhaupt eine begrüßenswerte, der "kulturellen Vielfalt" dienende Sache, ethnische Homogenität von Gebieten, und sei sie nur eine relative, als wertvolle Zielsetzung darzustellen? Ist es mit dem Geist des Multikulturalismus (von Anationalismus ganz zu schweigen) vereinbar, zwischen sprachlichen und kulturellen Gruppen, die bestimmte Gebiete möglichst zahlreich bevölkern sollen, und anderen Gruppen, deren "Übermaß" angeblich eine Gefahr darstellt, zu unterscheiden?

- "Das schließt ein, dass jede Art von Minderheit Rechte und angemessene Mittel erhalten muss, ihre Meinung zum Ausdruck zu bringen, damit deren Standpunkte von der Öffentlichkeit wahrgenommen werden können, ohne besondere Ausgaben und Mühen, so wie dies auch die Mehrheit kann. Dieses Recht auf Meinungsäußerung findet seine Grenzen da, wo zu Intoleranz oder Haß aufgerufen wird und durch gezielte Falschinformation die Rechte anderer eingeschränkt werden sollen." Die deutsche Programmfassung weicht hier vom Original ab. Der Übersetzer muss Bauchschmerzen gehabt haben, als er diesen Textabschnitt übertragen sollte. Denn im esperantosprachigen Urtext ist von einem Verbot von "Propaganda durch Erklärungen, Botschaften und andere Mittel, die unmittelbar oder mittelbar den Grundsätzen der Menschen- und Volksrechte entgegenstehen" die Rede. Spricht man hier von einem gesetzlichen Verbot bestimmter Meinungsäußerungen? Und was sind denn "Volksrechte"? Was "Menschenrechte" betrifft, verweist EDE wenigstens auf die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte von 1948, aber wie ist es mit den "Volksrechten"? Ist es etwa eine bestimmte Konzeption von "ethnischen Rechten", die zu kritisieren nicht mehr gestattet sein soll? Es sieht so aus, als wolle EDE die Meinungsfreiheit einschränken, und man kommt nicht umhin, genauere Auskunft über die Art der Meinungsäußerungen zu fordern, die EDE verbieten will.

Es soll EDE zugute gehalten werden, dass eine Diskussion über das Wahlprogramm für 2009 inzwischen, wenn auch verspätet, in Gang gekommen ist (hierzu: http://www.e-d-e.eu/pageID_6263424.html). Meiner Meinung nach sollten alle, die eine Unterstützungsunterschrift für EDE zu leisten gedenken, oder gar Unterschriften sammeln oder EDE wählen wollen, erst abwarten, was aus dieser Programmdiskussion herauskommt. Wird das Wahlprogramm für 2009 eines sein, das bei einem kritischen Leser keinen negativen Eindruck hinterlässt? Ein solcher Eindruck kann sich ja leicht auf die ganze Esperanto-Gemeinschaft übertragen, denn Außenstehende können – mangels Gegeninformationen – zu Unrecht annehmen, dass EDE für diese spricht.