Loading
Tag #686: Die Würde des Menschen

Kurzfassung: Heute beginnt die 3. Internationale Woche des Grundeinkommens. In Bremen haben zwei Gruppen Veranstaltungen organisiert.

Langfassung: Heute morgen um halb eins kamen wir aus Berlin zurück. Berlin, Berlin. Schön ist es dort. Groß und laut. Und voll. Wir waren nicht die einzigen dort.

In Berlin kann man zwei Arten Zukunft sehen. Die eine ist verstrahlt:



Und die andere nur drei Schritte und einen Schwenk entfernt:



Bei der gewaltigen Anti-Atom-Demo, bei der das Regierungsviertel nicht nur umzingelt wurde, sondern regelrecht geflutet, waren auch Anti-Stuttgart21-Schilder zu sehen. Und eben dieses Grundeinkommen-Transparent. (Also mehrere Themen, gegenüber denen die derzeitige Regierung völlig ignorant ist.) Die eigene Demo für das Bedingungslose Grundeinkommen in Berlin ist erst am 6.11., die 3. Internationale Woche des Grundeinkommens aber beginnt heute.

Auch in Bremen gibt es aus diesem Grund ab heute und die ganze Woche diverse Veranstaltungen zu dem Thema. Ich bin gespannt, ob es dadurch ein bisschen mehr auch in die gesellschaftliche Mitte vordringt. Mein Gefühl ist immer noch, dass es dort noch ganz und gar nicht angekommen ist.

In meiner Wahrnehmung wird das Thema BGE in Bremen derzeit nur von zwei Gruppen parteiübergreifend beackert: Dem Bremer Dialog Grundeinkommen (http://www.grundeinkommen-bremen.de) und dem Bremer Initiativkreis Grundeinkommen (http://initiativkreis.wordpress.com). Den "Dialog" verorte ich nach eigener Beobachtung in der Ecke der Götz-Werner-Bücher-Gutfinder. Dazu gehören auch die Leute um die ePetition im Bundestag (http://grundeinkommenimbundestag.blogspot.com), um die oben erwähnte Demo im November (http://www.unternimm-das-jetzt.de) und um den Krönungswelle-Kram (http://www.kroenungswelle.net).

Den "Initiativkreis" kann ich hingegen noch nicht aus eigenem Urteil heraus verorten, weil ich zu diesem bisher noch keinen persönlichen Kontakt gesucht habe. Und vielleicht lässt er sich ja auch gar nicht verorten. Gerüchte wollen allerdings wissen, dass der Initiativkreis ursprünglich aus dem Dialog heraus entstanden ist, dann aber von den Linken vereinnahmt wurde. Ich weiß, dass es die Landesarbeitsgruppe Bedingungsloses Grundeinkommen DIE LINKE Bremen (http://www.mindestsinn.de) -- ein Ableger von deren Bundes-AG (http://www.die-linke-grundeinkommen.de) -- lange sehr bedenklich fand, dass in jenem Initiativkreis Linke und Götz-Werner-Leute in einer Runde zusammensaßen. Angeblich ist das nun also geändert worden -- was aber erstmal ergebnisoffen und vorurteilsfrei zu prüfen wäre und so pauschalisiert gesagt vielleicht gar nicht stimmt.

Mir geht es hier auch gar nicht darum, Schubladen einzuführen, sondern nur darum, die aktuelle Lage zu verstehen. Jedenfalls stehen auf der Grundeinkommen-ist-wählbar-Seite (http://www.grundeinkommen-ist-waehlbar.de) für meinen Wahlkreis in Bremen nur der Gründer des Bremer Dialogs (ein Kunsttherapeut und Kerzenzieher) -- und einer von der Linkspartei. Auch in anderen Bundesländern bekennen sich allenfalls Parteien wie "Die Violetten für spirituelle Politik" zum BGE. In Berlin immerhin auch die Piratenpartei. Und besucht man Veranstaltungen zum BGE, findet man dort sehr wenig "normale" Leute. Und die meist völlig verunsichert. Entsprechendes hatte ich ja bereits letztes Jahr zur 2. Woche des Grundeinkommens in diesem Blog berichtet. (Ich verlinke mal nicht direkt dorthin, weil ich mich selber inzwischen auch deutlich weiterentwickelt habe und vieles heute ganz anders schreiben würde. Wer selber suchen möchte, mag auf das Tag Grundeinkommen klicken.)

Der Flyer vom Initiativkreis erwähnt übrigens Attac, Verdi Bremen, die St. Michaelis/St. Stephani Gemeinde und die KAB (Katholische Arbeiternehmer Bewegung) als Unterstützer, der Flyer vom Dialog den Blaue Karawane e.V., das Treue-Schiff, eine Makrobiotik-Firma und die Piratenpartei. Und die beiden Gruppen scheinen nicht nur getrennt voneinander zu arbeiten, sondern auch gegeneinander, denn einige Veranstaltungen sind sogar parallel. Die Veranstaltungsliste des Initiativkreises für Bremen ist außerdem gefiltert, d.h. sie verschweigt einige Veranstaltungen des Dialogs. Diejenige vom Dialog ist vollständig -- aber nicht so ausführlich. Außerdem ist deren Webseite absolut grottenschlecht. Es gibt nicht einmal Feed oder Permalink. Man muss sich die Liste selber aus dem Flyer-PDF extrahieren. Eine gemeinsame Podiumsveranstaltung mit dem Dialog soll der Initiativkreis abgelehnt haben (hat der Gründer des Dialogs jedenfalls kürzlich auf einer BGE-Veranstaltung der Piratenpartei Bremen gesagt).

Aber was soll's. Konkurrenz belebt das Geschäft. Wichtig ist, die Idee in die gesellschaftliche Mitte zu tragen und die Diskussion von Flügelkämpfen freizuhalten. Ich bin gespannt auf alle Veranstaltungen zur 3. Internationalen Woche des Grundeinkommens in Bremen. Heute abend 18 Uhr geht's los. Zu dem Terminen (Ort und Zeit) siehe die Links im letzten Absatz.

2 comments

diedje said:

wenn deine texte nicht immer so lang wären, würde ich sie vielleicht alle vollständig gelesen haben und hätte dir die nachfolgende frage ersparen können. das grundeinkommen finde ich eine gute idee aber was passiert wenn alle menschen damit zufrieden sind und keiner mehr arbeiten will?
14 years ago ( translate )

York replied to diedje:

Na ja, das kommt darauf an, was das für ein Grundeinkommen ist, bzw. was damit bezweckt werden soll. Stell Dir z.B. Hartz 4 vor, nur 1. ohne Bedürftigkeitsprüfung (es kriegt erstmal jeder, und wer ein Erwerbseinkommen hat, zahlt's über die Einkommenssteuer wieder zurück), und 2. als Individualanspruch (keine Bedarfsgemeinschaften), sowie 3. ohne Sanktionen (und damit ohne Pflichten gegenüber einem Amt) und 4. mit höherer Zuverdienstgrenze (nur Besserverdienende müssen es zurückzahlen). Stell Dir also quasi ein "Fördern und fordern"-Ding vor (als was Hartz 4 ja mal gedacht war), nur ohne die demotivierenden behördlichen Schikanen, ohne die kontraproduktiven Bildungsmaßnahmen und die anderen Zwänge, die die Leute bei Hartz 4 defacto vom Arbeitsmarkt fernhalten. Wenn es dann tatsächlich so sein sollte, dass "alle menschen damit zufrieden sind und keiner mehr arbeiten will?" -- dann ist der Regelsatz einfach zu hoch! Er muss hoch genug sein, dass man nicht erwerbsarbeiten muss. Aber niedrig genug, dass man es will. (Kritiker solcher Modelle sagen allerdings, dass dadurch dann Löhne gedrückt würden und Arbeitgeber subventioniert, und dass sich die Arbeitsbedingungen der Beschäftigten verschlechtern würden, also die Arm-Reich-Schere noch weiter aufklafft.)

Oder stell Dir alternativ ein sog. emanzipatorisches Grundeinkommen vor. Hier ist die Kaufkraft der ausgezahlten Summe absichtlich so hoch angesetzt, dass man nicht nur nicht erwerbsarbeiten muss -- sondern auch nicht unbedingt will. (Auch ein solches Modell wäre ökonomisch kein Problem.) Dann würde sich in der Tat massig Arbeit von der abhängigen Erwerbsarbeit zu anderen Arbeitsformen (Familienarbeit, ehrenamtliche Tätigkeiten, Kleinselbständigkeit) verschieben. Mit gewaltigen Nutzeffekten wie Vollbeschäftigung der Arbeitswilligen, besseren Arbeitsbedingungen und besserer Bezahlung -- denn dann gäbe es wieder einen richtigen Arbeitsmarkt, bei dem die Freiheit der Auswahl durch die Freiwilligkeit der Auswahl gegeben ist. Damit das wirklich funktionieren kann, braucht es dann natürlich ganz andere Bildungs- und Kulturniveaus als sie unser selektives und diskriminierendes System heute erzeugt. Und es braucht auch eine andere Einstellung zur Industrie- und Konsumgesellschaft. (Kritiker solcher Modelle sagen, dass solche Überlegungen utopisch sind, weil keine Machtkonstellationen denkbar sind, die die Voraussetzungen zu einer Einführung solcher Modelle schaffen könnten.)

Das sind jetzt die beiden Extreme, aber sie haben eines gemeinsam: Letztendlich sind immer noch alle am arbeiten. Der Mensch wird immer arbeiten wollen! Und wenn einige ein paar Jahre durchhängen und nichts tun -- weil sie es mit einem Grundeinkommen tun können -- gut so! Für die Gesellschaft ist das besser als das, was wir jetzt haben. Viel besser! Wer sein Hirn erstmal von Verblödungsvokabeln wie "Leistungsträger" und "Sozialschmarotzer" befreit hat, der kann auch wieder den gesellschaftlichen Wert selbstbestimmter Arbeit erkennen. Und nach welchem Modell und mit welcher Zielstellung auch immer -- ohne irgendwie Grundeinkommen wird es langfristig nicht gehen! (Auch wenn die jeweiligen Kritiker natürlich nicht unrecht haben, und ein jeder Versuch in diese Richtung zuvor sehr gut durchdacht werden muss.)

Ich hoffe, diese Antwort war jetzt nicht zu lang. ;-)
14 years ago ( translate )