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Abwegige Gedanken ...
...oder vielleicht doch nicht so abwegig?

Seit 10 Jahren begleite ich die Jahresaustellung des Fotoclubs Sinsheim mit einer Laudatio, so auch in diesem Jahr. Meine abwegigen (oder ?) Gedanken möchte ich hier mit euch teilen.
Laudatio zur Jahresausstellung des Fotoclubs Sinsheim e.V. am 30.9.2024

[… Begrüßung…]

Auch dieses Jahr finden Sie in unserer Ausstellung einen schönen Querschnitt der Arbeiten unserer Mitglieder aus dem vergangenen Jahr und da jeder etwas anderes in seinem fotografischen Portfolio hat, andere Interessen und Schwerpunkte hat, werden Sie hier die ganze Welt im Großen und kleinen und das pralle Leben finden. Da ist für jeden etwas dabei. Und weil das so ist, würde es auch zu weit führen, hier auf die einzelnen Bilder einzugehen, stattdessen will ich auch dieses Jahr wieder über Allgemeines zur Fotografie sprechen. Aber langsam gehen mir die Themen aus. KI hatten wir im vergangenen Jahr, und gute und schlechte Fotos hatten wir schon mehrfach. Trotzdem ist das immer wieder mal ein Thema, heute eher am Rande und aus einer ganz anderen ungewohnten und persönlichen Perspektive. Lassen Sie uns gemeinsam über den Tellerrand schauen und begleiten Sie mich auf einer kleinen Reise.

Auch bei uns im Fotoclub gilt die alte Fußballweisheit sinngemäß: Nach der Ausstellung ist vor der Ausstellung. Als ich im vergangenen Jahr meine Bilder für die Ausstellung ausgewählt habe, ist mir bewusst geworden, dass sich auf meinem PC über 70.000 Fotos tummeln, von denen ich zwei Drittel eigentlich löschen sollte, weil Sie meinen eigenen Ansprüchen nicht genügen. Das Problem: Welche 2/3. Die müssen ja erst einmal identifiziert werden. Ich müsste also dringend aufräumen. Wenn es bei Ihnen ähnlich aussieht, dann wissen Sie, wovon ich rede, wenn nicht, lassen Sie es besser nicht so weit kommen.

Das bedeutet jetzt mühsame Kleinarbeit. Will ich mir das wirklich antun? Was sind denn eigentlich meine Kriterien für gut oder nicht gut, behalten oder löschen? Da hatte ich mich in der Vergangenheit schon mal festgelegt:

1. Gute Fotos erzählen ihre Geschichte selbst, müssen also nicht erklärt werden und
2. Für gute Fotos kann ich spontan einen Titel vergeben.

Das sind meine Kriterien, Ihre können natürlich anders sein. Aber das ist noch nicht alles, außerdem muss ich noch Schärfe und Belichtung prüfen. Ich fange also erst mal an „gute Fotos“ zu markieren. Schärfe und Belichtung kommen dann im zweiten Durchgang. Eines wird mir jetzt schon klar. Irgendwann in meiner Frühzeit der Digitalfotografie bin ich mal falsch abgebogen und habe nicht gleich begonnen, schlechte oder doppelte Fotos zu löschen. Und dann sind da ja auch noch tausende Fotos aus Analogzeiten…

Das Ganze wird nun ein ziemlich umfangreiches Projekt. Obwohl mein Archiv eigentlich wohlgeordnet ist, bleibe ich doch immer wieder an einzelnen Bildern hängen … wo war das noch gleich? Und wann? Und warum habe ich da gleich 5 Fotos gemacht, welches davon ist das Beste? Oder ich kann mich nicht entscheiden, behalten oder nicht? Manches was ich heute aussortiere, hätte ich vorgestern vielleicht behalten und manches, was ich heute behalte, hätte ich vorgestern vielleicht aussortiert.

Ums kurz zu machen, ich bin bis heute nicht fertig, aber ich arbeite immer mal wieder dran. Inzwischen hat sich aber der Fokus geändert: Ich behalte alles, erstelle aber eine Auswahl der „guten Fotos“ als echte Kopien, die im Zugriff bleiben. Die 70.000 werden extern gesichert und sind nicht verloren. Allerdings habe ich jetzt mehr Fotos als vorher, sei‘s drum. Ich gebe es zu, ein Nachweis meines Scheiterns. Eines habe ich bis hier gelernt (wusste ich eigentlich schon immer): Nicht alles, was auf der Speicherkarte ist, gehört auf die Festplatte.

An dieser Stelle könnte meine kleine Reise eigentlich zu Ende sein, wenn das jetzt nicht der Auslöser für eine Kette weiterer Überlegungen gewesen wäre …

Worum geht es eigentlich bei meinen „guten Fotos“? Was sind eigentlich meine bevorzugten Motive? Und da gibt es eindeutig zwei Schwerpunkte: Architektur und Landschaft. Das ist etwas für faule Fotografen, da läuft nichts weg, man kann sich Zeit lassen. Und man muss sich auch nicht auf die Lauer legen und auf die Landschaft warten, die ist nämlich schon da, wenn man hinkommt. Diese Erkenntnis hat für mich weitere Folgen. Ich schaue jetzt mal, mit welchen Objektiven ich üblicherweise unterwegs bin. Erwartungsgemäß sind das kurze Brennweiten. Die sind in der Regel leichter und auch billiger als die langen und schweren Boliden, die von den fleißigen Fotografen und Frühaufstehern gern für Tierfotos usw. benutzt werden.

Und so geht mein Aufräumen weiter: Mit einem lachenden und einem weinenden Auge verkaufe ich im Laufe des Jahres vier Objektive, die ich sehr selten benutzt habe. Das bleibt ohne Folgen, tatsächlich habe ich sie bis heute nicht vermisst. Warum habe ich die überhaupt angeschafft?

Jetzt stelle ich noch einiges mehr in Frage und es kommen mir ziemlich radikale Gedanken. Reicht vielleicht sogar ein richtig gutes Smartphone für mein fotografisches Portfolio? Vor zwei Jahren hatte ich hier sechs große Fotos ausgestellt, von denen drei mit dem Smartphone und drei mit der Kamera gemacht waren. Und ich selbst konnte zu meiner Schande nicht mehr sagen, welches Foto woher stammte. Von der technischen Qualität her war ein Unterschied ohnehin nicht feststellbar.

Neuer Gedanke: nur noch mit dem Smartphone fotografieren? Das geht gar nicht! … aber dann: schön leicht, immer dabei, kein Objektivwechsel … ein verführerischer Gedanke. Aber auch: grottenschlechte Haptik, Rauschen, kein Sucher mit all den damit verbundenen Einschränkungen, und andere nützliche Funktionen der Kamera fehlen auch … aber brauche ich die überhaupt? Auch jetzt nutze ich von den Möglichkeiten meiner Kamera wohl deutlich weniger als 50%. Und was kommt da vielleicht noch von den Smartphone Herstellern?

Ich erinnerte mich an meine dunkelste Zeit als Hobbyfotograf. Mitte der Neunzigerjahre habe ich mir eine kleine leichte Reisekamera gekauft, weil ich es leid war, die schwere Ausrüstung um die Welt zu schleppen. Damals war das leider keine gute Idee, weil die kreativen Möglichkeiten sehr eingeschränkt oder nicht vorhanden waren. Tatsächlich habe ich aus dieser Zeit keine ordentlichen Fotos. Wäre das mit dem Smartphone anders? Man müsste das einfach mal ausprobieren …

Um ehrlich zu sein, das mache ich schon seit einigen Jahren, aber so richtig bewusst wird mir das erst jetzt, während ich diesen Text schreibe. Inzwischen kommt bei mir wohl jedes dritte Foto aus dem Smartphone, kein Problem bei Architektur und Landschaft. Für die fleißigen Fotografen mit den großen Boliden ist das wohl keine Option.

Verdichtete Erkenntnis für mich: Smartphone geht für faule Fotografen, und damit auch für mich! Jedenfalls dann, wenn die Kamera nicht zur Hand ist.

Aber was macht das jetzt mit mir oder uns? Abstieg zu den Smartphone Knipsern? Nagt das an unserem fotografischen Selbstverständnis? Das muss wohl jeder für sich selbst beantworten. Ich bleib da jedenfalls erst mal ganz entspannt, meine zwei Kriterien gelten und letztendlich zählt das Ergebnis!

Und wie geht es jetzt weiter?

Das mit den faulen Fotografen haben die angesagten Smartphone Hersteller natürlich auch längst erkannt und sich schon vor Jahren die Kamera- und Objektivhersteller mit den großen Namen ins Boot geholt. So finden wir auf deren Spitzenprodukten oft die Namen Leica, Zeiss und Hasselblad. Wieviel von deren Technologie wirklich drin ist, wissen wir zwar nicht, in einigen Fällen sind die Ergebnisse aber beeindruckend, bei anderen ist offenbar nur wenig von dem drin, was draufsteht.

Um das Marktsegment der Kompaktkameras ist derweil ein heftiger Kampf entbrannt, bei dem sich die Kamerahersteller mit immer längeren Zoombereichen zu wehren versuchen, weil die Smartphones diesen Weg wohl nicht mitgehen können. Aber wer weiß, da hat es in der Vergangenheit auch schon Überraschungen gegeben. Der Ausgang ist jedenfalls ungewiss.

Aber bei den gegenwärtigen Innovationszyklen, die mitunter nicht mal ein Jahr betragen, können die faulen Fotografen wohl optimistisch in die Zukunft blicken. Lassen wir uns mal überraschen.

Ich halte derweil schon mal Ausschau nach dem ultimativen Smartphone. Die Kamera und meine kurzen Brennweiten behalte ich natürlich trotzdem. Aufräumen geht zwar anders, aber das ist nun mal so. Das Leben ist eben voller Kompromisse.

In diesem Sinne wünsche ich Ihnen gute Unterhaltung in unserer Ausstellung und angenehme Gespräche. Und vielen Dank, dass sie mich auf meiner kleinen Reise begleitet haben.

5 comments

Pano ☼ Rapi ♫✯♫ said:

Versuche mal EXCIRE FOTO 24 :)
Gruß Pano
3 days ago ( translate )

LutzP said:

Moin Rapi, danke für den Hinweis. Das meiste leistet Lightroom auch schon (ich muss es nur konsequent benutzen)
3 days ago ( translate )

Albrecht Girle said:

Interessante Reflexionen, Lutz. Sollte es hier öfters geben
(oder habe ich ein einschlägiges Forum übersehen, das es längst gibt??).
Interessant vor allem, weil es Stoff zum Nach- und Weiterdenken gibt.

Ich habe vor kurzem eine neue Systemkamera gekauft (die alte, schon sehr klapprige, ist von 2008). Habe ganz bewußt im Fachhandel gekauft, weil ich nie mehr etwas erwerben wollte, was ich nicht vorher "handgreiflich" ausprobiert habe, damit es wirklich zu mir passt.

Nun habe ich die Neue, bin stolz und froh, muss aber feststellen, dass ich mit dem Konzept fremdele. Schöne Haptik, aber eine Sperre im Kopf, weil ich mich von der Fülle der Optionen und Entscheidungen überfordert fühle.

Ich habe wohl unterschätzt, dass man nicht "ungestraft" zwei oder drei Innovastionsschübe auslassen und dann in der schönen neuen Welt einfach frischfröhlich loslegen kann. Hatte mir zwar wohlweislich zur Kamera gleich das 350 Seiten starke Handbuch gekauft; aber immer wenn ich es aufschlage, kratze ich mich alsbald am Kopf mit immer denselben Fragen: Muss das sein? Brauche ich das? Will ich das überhaupt?

Vielleicht nehme ich mir ein Beispiel an dir und schreiben einfach mal meine Empfindungen bei diesem Prozess auf: Was fühlt ein Fotograf wie ich angesichts dieser Fülle von Wahlmöglichkeiten, die die Arbeit zwar vereinfachen und optimieren sollen, aber bei mir nur noch als verwirrende Komplikationen ankommen.

Danke für deine Anregung.
2 days ago ( translate )

LutzP replied to Albrecht Girle:

Immer gern, Albrecht. Und du sprichst mir aus dem Herzen. Das Handbuch meiner Canon R7 hat 664 Seiten, aber kein Stichwortverzeichnis. Ich glaube, dass heute viel zu viel über Technik geht und viel zu wenig über die fotografischen Primärtugenden. Früher durfte ein gutes Foto auch mal unscharf sein wenn die Komposition und Aussage stimmten ...

Mach mal und schau auch mal hier: www.ipernity.com/blog/lutzp/4643864
2 days ago ( translate )

uwschu said:

Ein richtiges Forum gibt es hier nicht, nur wo das Team was zum Besten gibt.
So wie du hier, das fehlt.
Komm mir vor, als ob wir irgendwo am Tisch bei einem Wein oder Astra sitzen und darüber reden.
Bilder löschen nur in der Vorauswahl, sonst nicht. Bin ein Sammler :-)!
Müsste eigentlich auch einige Objektive weggeben, die ich nicht nutze.
Hab viele schöne kleine Festbrennweiten, mit denen es mir viel Spaß macht, meine Umgebung zu erlaufen und zu sehen.
Das Smartfone ist nur für Sonntagsselfies mit Maik oder der Arbeit tauglich, ansonsten telefoniere ich damit ;-)).

Schönen Abend Lutz
5 hours ago ( translate )