In der Türkei läuft eine Fernsehserie, die aus einer Vergewaltigung Unterhaltung macht. Nicht die Täter, das Opfer erscheint als schuldig. Das bekommt die Schauspielerin am eigenen Leib zu spüren.
Zwei Drittel der türkischen Fernsehzuschauer haben die Vergewaltigungsszene gesehen, auf Youtuibe wurde sie zehntausendfach aufgerufen: Beren Saat in der Rolle der Fatmagül
18. Dezember 2010
Zappt man in der Türkei durch das abendliche Fernsehprogramm, dann begegnen einem unweigerlich Frauen, die von einem Mann geschlagen werden; die von einem Mann ans Bett gefesselt worden sind; die weinen, während sich ein Mann mit lustverzerrtem Gesicht über sie beugt. Meistens sagt er unsinnige Sätze wie: „Wehr Dich nicht, ich liebe Dich“ oder „Wehr Dich nicht, gleich gefällt es auch Dir“. Das türkische Fernsehen zeigt oft und gerne Gewalt, vor allem zeigt es Gewalt gegen Frauen. Die Einschaltquoten verraten, dass die Zuschauer nichts dagegen haben. Im Gegenteil: Was sie da sehen, gefällt.
Jeden Donnerstag ist bei dem Privatsender Kanal D eine Serie zu sehen, die sich zur erfolgreichsten des Jahres entwickelt hat, wohl auch, weil die Drastik der dargestellten sexuellen Gewalt schon in der ersten Folge alles Dagewesene toppte: Ein Drittel aller türkischen Zuschauer versammelte sich am Abend des 16. Septembers vor dem Fernseher und schaute zu, wie drei Männer eine junge Frau namens Fatmagül vergewaltigen. Die Szene dauerte ganze vier Minuten. Sie ist seitdem tausendfach im Internet abgespielt worden. Die türkischen Kommentare lesen sich, als sei die vergewaltigte Fatmagül die Königin von Porncity.
„Fatmagül'ün Sucu Ne?“ - „Was ist Fatmagüls Verbrechen?“ heißt die Serie, die von Fatmagül (Beren Saat), einem jungen Mädchen vom Lande, erzählt, das von drei jungen Istanbulern der Hautevolee vergewaltigt wird. Die Männer, Fatmagül kennt sie seit Kindestagen, kommen davon. Kerim, ein Handwerker aus Fatmagüls Dorf, der in der Tatnacht zu betrunken war, um selbst über das Mädchen herzufallen, wird von den Istanbulern dazu überredet, Fatmagül zu heiraten, die einen anderen liebt. Fatmagül zwingt man zu sagen, sie habe die Tat inszeniert, um ihre Affäre mit Kerim zu vertuschen.
Wer abgewiesen wird, vergewaltigt die Angebetete einfach
Die Geschichte beruht auf einer wahren Begebenheit. Der türkische Schriftsteller Vedat Türkali verabeitete sie Anfang der achtziger Jahre in einem Roman, der 1986 mit Hülya Avsar in der Hauptrolle verfilmt wurde. Roman und Film kritisierten, dass die türkische Gesellschaft bei Vergewaltigungen in der Regel die Schuld beim Opfer sieht. Zudem machten sie auf ein Gesetz aufmerksam, das inzwischen geändert worden ist: Um vergewaltigte Frauen vor gesellschaftlicher Ächtung zu schützen, sah die Rechtsprechung lange Straffreiheit für den Täter vor, wenn dieser einwilligte, sein Opfer zu heiraten. Man braucht nicht viel Phantasie, um sich die Folgen auszumalen: Türkische Männer, die abgewiesen wurden, vergewaltigten ihre Angebeteten ganz einfach. Türkalis Werk und der Kinofilm ernteten gute Kritiken. Doch dann nahm sich der Privatsender Kanal D des Stoffes an.
Wären die Produzenten der Romanvorlage gefolgt, dann zeigte die Serie, wie Fatmagül, die Unschuldigste von allen, die Beschuldigte wird. Statt dessen rücken sie immer wieder Fatmagüls Vergewaltigung in den Mittelpunkt. Und befriedigen damit jene Machomentalität, die Türkali in Frage stellte und die bis heute in Frage zu stellen ist, denn Fatmagüls gibt es zu Tausenden in der Türkei. Laut einer Studie des türkischen Instituts für Sexualgesundheit haben vierzig Prozent der türkischen Frauen schon einmal Gewalt erfahren, zwanzig Prozent von ihnen sexuelle. Wird eine Frau in der Türkei vergewaltigt, dann ist ihr in zwei von drei Fällen der Täter bekannt - es ist ihr Ehemann, Liebhaber, Vater oder ein Verwandter. Gleichzeitig sind noch immer weite Teile der türkischen Gesellschaft davon überzeugt, dass eine Frau, die vergewaltigt wurde, dies provoziert haben muss. Auch die türkische Rechtsprechung zeugt von dieser Mentalität: Wird eine Prostituierte vergewaltigt, dann kommt der Täter mit einem blauen Auge davon, dabei bleiben Vergewaltiger ohnehin nie lange im Gefängnis. Die Frau hingegen gilt fortan als beschmutzt. Doch all das interessiert Kanal D offensichtlich nicht. Der Sender verwandelte das Verbrechen von Anfang an in Unterhaltung.
Schon Wochen vor dem Auftakt der Serie wurden die Zuschauer in Werbepausen mit Sequenzen der Vergewaltigung bombardiert. „Wie wurde Beren auf die Szene vorbereitet?“, „Wer sind die Vergewaltiger?“, „Wer spielt die Vergewaltigung besser, Beren oder Hülya?“, „Wo wird Beren vergewaltigt werden?“ fragten Werbespots. Dass zum gleichen Zeitpunkt nach sieben Jahren ein Vergewaltigungsprozess zu Ende ging, registrierte der Sender in seiner Berichterstattung kaum: Im September entschied ein Gericht über den Fall eines Mädchens aus Mardin, das im Alter von zwölf Jahren von 27 Männern vergewaltigt worden war. Die Angeklagten hatten bis zum Urteil keinen Tag im Gefängnis verbracht und erhielten milde Strafen. Und das, obwohl - oder auch gerade weil - es sich bei den Tätern allesamt um Autoritätspersonen handelte: Ein Armeeoffizier und ein Lehrer waren darunter.
Bloß küssen dürfen sie sich nicht
Inzwischen kann man in Istanbul Unterwäsche kaufen, auf denen der Titel der Serie zu lesen ist. Es gibt Fatmagül-Sexpuppen, mit denen man zu Hause die Vergewaltigung nachspielen kann. Es gibt ein Online-Spiel, bei dem die Nutzer eine Zeichentrick-Fatmagül ausziehen können. Kürzlich hat ein Kabarettist Fatmagüls Vergewaltigung nachgespielt, die Täter wurden dabei als Sportler dargestellt, der Kabarettist kommentierte deren „Treffer“. Und nun ist auch noch ein Computerspiel mit dem Titel „Lauf, Fatmagül, lauf!“ erschienen, bei dem der Spieler Fatmagül ist und fünf Männern entwischen soll. Packt einer der Verfolger das Mädchen, dann fängt sie an zu schreien - Spiel zu Ende, nächster Level nicht erreicht. Auf Hunderten von Internetseiten findet sich inzwischen die Vergewaltigungssequenz, allein bei Youtube haben sich fast dreißigtausend Nutzer das Video angesehen.
Türkische Frauenorganisationen und Kolumnisten kritisierten, dass „Was ist Fatmagüls Verbrechen?“ die Vergewaltigung legitimiere. Ihre Forderung, die Serie einzustellen, blieb bisher erfolglos. Die Fernsehaufsichtsbehörde sieht an anderer Stelle Handlungsbedarf. Im Mai verwarnte sie einen Fernsehsender wegen einer Parfümwerbung, in der eine sich auf einer Yacht im Bikini sonnende Frau einen Mann in Badehose küsst. Das sei obszön, urteilte die Behörde und erinnerte daran, dass nichts gesendet werden darf, was die mentale Entwicklung von Minderjährigen beeinträchtigt - Vergewaltigung gehört offenbar nicht dazu. Selma Aliye, die türkische Frauen- und Familienministerin, berühmt geworden durch ihre Aussage, Homosexualität sei eine Krankheit, hat das Küssen in Fernsehserien als unmoralisch kritisiert. Gefragt nach ihrer Lieblingssendung, antwortete die AKP-Ministerin: „Tal der Wölfe“, also jene ultranationalistische Serie, in der in jeder Folge die Fäuste fliegen und in der auch vergewaltigt wird.
Die Opfer sollen anrufen, bevor es zu spät ist
Die Schauspielerin Beren Saat hat sich derweil über die schlüpfrigen Bemerkungen beklagt, die sie seit Beginn der Serie erntet. Doch damit war zu rechnen. Nicht jeder gibt sich für jede Rolle her; auch von türkischen Schauspielern wird das Verherrlichen sexueller Gewalt kritisiert. Dass es durchaus auch kritisch gehen kann, hat die Fernsehserie „Güldünya“ - „Blumenwelt“ bewiesen, die der Privatsender Star TV in Zusammenarbeit mit der türkischen Frauenorganisation Mor Cati konzipierte. Jede Folge stellte einen realen Fall von Misshandlung nach.
Die Notrufnummer, die die Frauen in der Serie wählten, war eine echte und wurde so landesweit bekannt. Nach jeder Folge wurde geraten, „anzurufen, bevor es zu spät ist“, und tatsächlich gingen verstärkt Notrufe bei türkischen Frauenhäusern ein. Die Serie ist inzwischen eingestellt worden - wegen zu geringer Einschaltquote. Angeblich soll es demnächst statt dessen eine neue Serie geben, in der - wieder vergewaltigt wird.
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.t.a.o.n. said: