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The New York minute - Teil 3 - Over the tops
“Something's always happening here. If you're bored in New York. it's yout own fault.“ [1]

Vor ein paar Wochen las ich in einer Kolumne, dass man Bolognese auf gar keinen Fall mit Spaghetti essen sollte und der Verfasser „begründete“ seine These ellenlang. Je länger ich las, desto suspekter kam mir das Ganze vor, denn... Ich habe mein lebenslang gerne Spaghetti Bolognese gegessen und werde es weiter machen. Ansammlungen „guter“ Ratschläge haben häufig die Überschrift „Dos and Don'ts“. Und was NYC angeht, so sind diese Ansammlungen von „Dos and Don'ts“ erstrecht suspekt. Das ist so mit den Regeln in der Fotografie. Und so wie ich Freeman Patterson [2] zustimme, der sagt, dass es nur eine Regel in der Fotografie gibt: Entwickle niemals einen Film in Hühnersuppe, kann man sicher sagen: „Erschieße niemals den Naked Cowboy am Times Square!“. Alles andere sind vielleicht gute Ideen, ob man sie befolgt ist Geschmacksache.

Ich hatte an anderer Stelle schon behauptet, dass man Ersttäter unter den Manhattan-Touristen daran erkennt, da sie zunächst über Mülltonnen und Kästen der US Mail stolpern, weil ihre Blicke ständig auf den höchsten sichtbaren Punkt der Skyscraper gerichtet sind. Aber da oben ist auch etwas, das man beachten und fotografieren kann: Die New Yorker Wassertanks - riesige antik aussehende Holzfässer. Und die haben einen Deckel - also sammeln sie kein Regenwasser. Wozu sind sie also da? Nun, sie dienen der Trinkwasserversorgung und dem Brandschutz und betten sich in ein System ein, dass schon im 19. Jhd. erdacht wurde, um den Bedarf an Trinkwasser zu decken. Obwohl es mittlerweile Neuerungen gab und auch zwangsläufig geben wird, funktioniert es immer noch nach dem gleichen Prinzip. Da das Wasser im Hudson River und East River [3] zu salzig ist, musste eine andere Lösung her. Man entnahm Wasser an einem Stausee (Croton Lake) am Croton River und leitete es durch einen 66 km langen Kanal nach Manhattan (Croton Aqueduct). Diese Art der Wasserversorgung reichte aber bereits Ende des 19. Jhdt. nicht mehr aus und es kam die New-Croton-Talsperre hinzu, die dreimal soviel Wasser lieferte als das alte Aquädukt und stellt noch heute 10 % der New Yorker Wasserversorgung. Der sich auf dem Weg nach New York natürlich aufbauende Wasserdruck reicht aber nur bis zum 6. Stock der Gebäude. Also pumpt man das Wasser in die oben liegenden Wassertanks, die das Wasser dann gleichmäßig in den Häusern verteilen. Und man verwendet bei Neubau und Reparatur i.d.R. immer noch Holztanks, die nach Erfahrungen besser geeignet und wartungsfreundlicher sind als Edelstahltanks.

Wenn man den Blick nach oben richtet, kommt einem vielleicht auch der Gedanke: Da möchte ich 'rauf. Tatsächlich bieten mehre Unternehmen Rundflüge im Helikopter an. Muss man das haben? Hier sind wir bei meinem ersten persönlichen Don't. Ich persönlich fliege gerne mit Helikoptern, habe mich mehr als einmal winschen lassen und bin mit den Füßen auf den Kufen geflogen. All das ist absolut empfehlenswert. Besonders die offene Seitentür, sitzend auf dem Boden des Helis und die Füße auf den Kufen ist für Fotografen absolute Spitze. Aber keiner der Unternehmen in Manhattan bietet mir das. Und wenn der 15-minütige Flug 200 - 250 $ kostet und ich ggf. auch noch in der Mitte der Bank sitze - dann winke ich dankend ab. Aber es gibt ja hohe Häuser mit Aussichtsplattformen und auch auf der Statue of Liberty - offiziell Liberty Enlightening the World - kann man die Aussicht genießen. Aber auch das ist nicht kostenlos. Das ONE WORLD OBSERVATORY bietet vier Eintrittsklassen zwischen 39 und 69 $ an, das Empire State Building 44 (Main Deck) bis 79 $ (Top Deck) und das Rockefeller Center (Top of the Rock) 40 $ etc . Möchte man nun alles machen, schlägt das ganz gut zu Buche. Also ist vielleicht im Vorfeld eine Auswahl nötig. [4]

Drehen wir das Ganze doch mal um. Was habe ich davon, wenn ich z.B. auf der Freiheitsstatue bin? Zunächst einmal kann ich Zuhause erzählen, dass ich auf der Freiheitsstatue war. Und das ich eine guten Ausblicke hatte... Aber auf was? Ich war oben, habe mich überreden und einladen lassen. Und habe geschaut... auf die Upper Bay und die Skyline von Manhattan... und auf Ellis Island... Ich habe vieles gesehen, aber eigentlich nichts Spektakuläres. Ich hätte es von vielen Punkten aus sehen können - kostenlos. Und, was sehe ich vom Empire State Building? Vieles, aber nicht das Empire State Building. Eine gute Investition - finde ich - war der Besuch des Rockefeller Center. Das Gebäude ist - nach meinem Geschmack - nicht das Schönste. Und berühmt ist es wohl eher dadurch, dass an Weihnachten dort ein riesiger Weihnachtsbaum steht. Aber... das Observation Deck des Rockefeller Center, das Top of the Rock ist der Wahnsinn. Das es 60 bzw. 113 Meter niedriger ist, als das Empire State Building, spielt bei diesen Höhen auch keine große Rolle mehr. Man hat jedenfalls vom Rockefeller Center einen fantastischen Ausblick über Midtown (inkl. Empire State Building) bis Lowtown (inkl. WTC) und bei guter Sicht sogar bis zur Brooklyn Bridge und die Statue of Liberty. Und in die entgegengesetzten Richtung breitet sich der komplette Central Park vor einem aus.

Im Gegensatz zu Top of the Rock ist man beim ONE WORLD OBSERVATORY hinter Glas. Auf der höchsten Ebene der Aussichtsplattform ist man dort aber auch auf über 400 Meter, also ca. 140 Meter höher. Ich war skeptisch, aufgrund der Lage des 1 WTC - des Freedom Towers - aber doch neugierig. Hinter Glas zu fotografieren kann natürlich gründlich daneben gehen, aber auch das Wetter kann einem einen Strich durch die Rechnung machen. Da können dann ca. 40 $ schnell in den Sand gesetzt sein. Ok, von der Lage her konnte ich ungefähr abschätzen, in welche Richtung die Blicke gehen werden: Die komplette Upper Bay müsste zu sehen sein und das aus ca. 300 Meter höher als die Freiheitsstatue und höher als die Hubschrauber um Manhattan fliegen. Am Horizont müsste der komplette Hafenraum der Port Authority of New York and New Jersey (PANYNJ) einsehbar sein. Und wer weiß, Richtung Süden könnte man vielleicht bei guter Fernsicht, die hinter The Narrows mit der Verrazzano-Narrows Bridge liegende Lower Bay sehen. Also wagte ich es, auch wenn möglicherweise keine guten Bild entstehen würden. Übrigens lohnt sich bei allen Observatory Decks eine Buchung im Voraus, dass erspart lange Wartezeiten und die können, je nach Auslastung heftig sein. Es kann sogar passieren, das man ohne Buchung an bestimmten Tagen oder Zeiten gar nicht schafft, auf die Gebäude zu kommen. Ein spontaner Besuch ist so gut wie gar nicht möglich. Der Nachteil ist natürlich, dass man zu einem festen Zeitpunkt an der Einlasskontrolle da zu sein hat. Und diese Kontrollen sind gefühlt strenger als der Security Check an den Flughäfen. Auch das Wetter kann zum gebuchten Zeitraum gerade anders sein, als man es gebrauchen kann. Es macht sicherlich keinen Sinn, auf ein Observatory Deck zu gehen, wenn man sich da oben im Nebel befindet.

Der Fahrstuhl, der einem in 47 Sekunden in den 102. Stock katapultiert, ist schon eine gelungene Sache und dass nicht nur deshalb, weil man es über die Treppe gar nicht schaffen würde. Es ist ein sogenannter time-lapse elevator. Man fährt physikalisch von Unten nach Oben, virtuell aber durch die Zeit. Die Fahrstuhlkabine besteht nämlich aus riesigen Monitoren, d.h. bei der Fahrt nach oben sieht man in einer Animation die Veränderung Manhattans im Laufe der Geschichte, von grünen Wäldern und Wiesen im untersten Einstiegsbereich bis zu Gegenwart ganz oben - eine geniale Idee, denn 47 Sekunden Auszugsfahrt können schon lang werden und möglicherweise bei Menschen mit klaustrophobischen Neigungen zur Tortur werden. Die „Rückfahrt“ bietet dann einen „Rundflug“ um die Fassade des 1 WTC. [5] Im Nachhinein hat sich das für mich das ONE WORLD OBSERVATORY gelohnt. Ich hatte Glück mit dem Wetter, die Glasfassade ermöglichte tatsächlich Fotografien ohne Pol-Filter. Die Ausblicke waren fantastisch, auch bei nicht ganz so guter Fernsicht.

Es lohnt sich also immer, nicht jedem Hype hinterher zu laufen - nicht nur in NYC. Je mehr etwas beworben wird, desto kritischer bin ich. Aber ich denke ich werde mir bei meinem nächsten Aufenthalt in Manhattan das Edge Observation Deck vornehmen.


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[1] "Hier passiert immer etwas. Wenn du dich in New York langweilst, ist deine eigene Schuld." - Zitat von Myrna Loy (* 2. August 1905 in Helena, Montana, † 14. Dezember 1993 in New York City) war eine US-amerikanische Schauspielerin. Mit William Powell bildete sie in 14 Filmen ein populäres Leinwandpaar, unter anderem in der Filmreihe Der dünne Mann (Originaltitel: The Thin Man).
[2] Freeman Wilford Patterson (* 25. September 1937), kanadischer Naturfotograf und Schriftsteller.
[3] Der Hudson River befindet sich in Höhe Manhattans schon in seinem Mündungstrichter und das Flusswasser vermischt sich mit dem Salzwasser aus der Upper Bay. Der East River ist - obwohl der Name es aussagt - gar kein Fluss, sondern eine Meerenge die den Long Island Sound mit der Mündung des Hudson River bzw. der Upper Bay verbindet. Mit der dadurch bestehenden Verbindung zum Atlantik (Upper Bay und Lond Island Sound) hat das Wasser des East River einen deutlichen Salzgehalt.
[4] Preise abgerufen 2023.
[5] youtu.be/39-C9QZNXQE