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Die Fotos meiner Oma ... (Teil 1)
... oder: "Wie eine Zeitreise beginnt."

Wir sind in den letzten Tage mal damit angefangen, die kahle weiße Wand in unserem Wohnzimmer mit Bilder unserer Ahnen zu verzieren. Diese war dafür seit unserem Einzug vor drei Jahren dafür reserviert, die Bilder lagen - teilweise schon digitalisiert - bereit. Doch gilt auch heute noch der Satz, den ich aus Kindheitstagen kenne: "Im Winter sortieren wir mal die Fotokiste...!" Dazu - man kann es sich denken - ist es nie gekommen.

Meine Urgroßeltern Angela, geborene Langen und Johann Wilkens

Ein paar "technische" Details vorweg: Meine Oma fotografierte ab ca. 1930 zunächst mit einer Agfa Standard 208. Diese Plattenkamera (bzw. Planfilmkamera) war eine Laufbodenkamera mit dem Format "Platten 9x12 cm". Später fotografierte sie mit einer Voigtländer Brilliant. Zur Verfügung standen mir also rund 800 Fotoplatten und fast ebensoviele Negative auf Rollfilm. Eine Fotoplatte - pro Bild eine Platte - war mit einer Fotoemulsion beschichtete Platte aus Metall oder in diesem Fall Glas. Man kann sich also gut vorstellen, wie sensible das Material auf Lagerung und Benutzung reagiert. Weiße Handschuhe aus Baumwolle sind beim Handling angesagt und - heute ist es ja möglich - nach Möglichkeit digitalisieren und nur in Ausnahmefällen aus der sachgerechten Lagerung entnehmen. Das Digitalisieren habe ich mit Unterstützung durch die Photothèque de la Ville de Luxembourg www.vdl.lu/de/besuchen/kunst-und-kultur/fotografie/phototheque Anfang 2017 durchgeführt.

Die Zeit hat natürlich ihre Spuren hinterlassen. Gehen wir vom Fixjahr 1930 aus, dann haben die Platten mittlerweile ein Alter um die 90 Jahre erreicht. Und in 90 Jahren passiert vieles: Menschen bekommen Falten, Platten dafür Kratzer und Sprünge - nichts ist für die Ewigkeit. Die dünne lichtempfindliche Beschichtung - man nennt sie Fotoemulsion, obwohl es richtigerweise eine Suspension ist, denn es handelt sich um eine Aufschlämmung fein verteilter Kristalle in Gelatine, also ein Gel - trotzdem hat sich der Begriff Fotoemulsion eingebürgert, verschlechtert sich mit der Zeit. Je nach Lagerung passierte das in 90 Jahren mal schneller, mal langsamer. Man bedenke, dass Menschen außerhalb eines Fachgebietes meistens Maßnahmen ergreifen, die sie für richtig halten, auch wenn sie unter Berücksichtigung fachlicher Erkenntnissse falsch oder sogar Kontraproduktiv sind. Die Photothèque de la Ville de Luxembourg lagert ihren Bestand an Fotoplatten, die teilweise noch viel älter sind, als die meiner Oma, in einem Spezialraum, der klimatisiert ist und konstant auf 14 °C gehalten wird. Welcher Privathaushalt kann das leisten? Oma lagerte ihren Bestand im Wäscheschrank auf - trocken, dunkel und vor mechanischen Einflüssen geschützt.

Von meiner Oma genutzte Fotoplatten. Die entwickelten Platten lagerten über Jahrzehnte in diesen Schachteln im Wäscheschrank.

Natürlich ist der Wäscheschrank nicht mehr in Gebrauch und nachfolgende Generationen taten, was sie für richtig hielten - nach besten Wissen und Gewissen - wie man sagt. Platten wurden z.B. teilweise in Toilettenpapier eingewickelt, damit sie nicht aneinander reiben - oberflächlich betrachtet erstmal eine gute Idee (vierlagig, flauschig, weich), bei weiterer Betrachtung stellt sich das allerdings als eine Katastrophe (für die Fotoemulsion) heraus. Toilettenpapier wird für einen bestimmten Zweck hergestellt und ist nicht dafür gedacht, über einen längeren Zeitraum archiviert zu werden. Es zersetzt sich - das hat auch (chemische) Einflüsse auf die unmittelbare Umgebung - was im Abwasserkanal sicher zu vernachlässigen ist. Hinzu kamen noch Begebenheiten, die in einem normalen Haushalt ziemlich normal sind: Es wird umgebaut, modernisiert, isoliert - aber es geschehen auch Dingen, die nicht gewollt sind: Wasserrohrbrüche, technische Ausfälle, Sturmschäden etc. - all das hat Auswirkungen auf so sensible Materialien wie Fotoplatten. Man lebt schließlich nicht in einem Museum oder Archiv.

Zunächst habe ich die Platten mit den Kolleginnen und Kollegen der Photothèque de la Ville de Luxembourg gesichtet. An einer Platte, die stark angegriffen war und dessen Inhalt auf eine Fehlbelichtung hindeutete, versuchten wir einige "Reinigungsarbeiten". Letztendlich entschlossen wir uns, sie nicht zu reinigen, allenfalls mit einem weichen Pinsel Staubpartikel zu entfernen. Ließen sie sich nicht leicht entfernen, blieben sie wo sie sind und wurden mit eingescannt. Dies geschah mit einer Auflösung von 2400 ppi, die Datei erreichte dabei annähernd 200 MB und wurde als TIFF-Bild abgespeichert. Der Rest war reine Fleißarbeit.


Bildausschnitt nach dem Scannen mit Kratzer, Staub und Verunreinigungen.


Starke Beschädigungen / Verschmutzungen an einem anderen Bild.

4 comments

Diana Australis said:

What a fascinating archive you have here, Andreas. There is such a lot of work preserving these. Thank you for sharing this..it is so interesting
3 years ago

Karin G. said:

mit Begeisterung habe ich den Bericht gelesen. Chapeau !!!!! diese Zeitdokumente, auch noch aus der eigenen Familie, sind fantastisch und absolut erhaltenswert.
bewundernde Grüße Karin
3 years ago ( translate )

Ulrich Dinges said:

solch gute Bilder (Platten) habe ich in unseren Familien leider nicht gefunden.
Ihr habt euch entschieden die in der Wohnung aufzuhängen - finde ich klasse
Meinerseits habe ich für jedes meiner Kinder ein Fotobuch über die Familie erstellt, mit viel Text zu den gemeinsamen Vorfahren....bis heute
3 years ago ( translate )

Bergfex said:

Lieber Andreas, Du hast wenigstens noch dieses wunderbare Erbe. Die Bilder meiner Eltern (Mutter 1918 geboren, Vater 1906) sind im Januar 1945 im Bombenhagel über Magdeburg verschüttet worden. Und nach dem Krieg hatten meine Eltern andere Sorgen.
Dass Du diesen Schatz eingescannt hast und damit für Deine Familie und die Zukunft konserviert hast, ist großartig. Hoffen wir nur, dass unser digitales Erbe auch in 90 weiteren Jahren lesbar und sichtbar sein wird.
3 years ago ( translate )