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Legende, Kult und Mythos
OTZ vom 02.06.2012 von Angelika Bohn - von mir leicht gekürzt und abgeändert
Foto:epd/Jürgen Maennel

In Dresden wird zum 500. Geburtstag der "Sixtinischen Madonna" die Geschichte ihrer Entstehung und Rezeption erzählt.

"An der Stirnseite des Chores hängt das wunderschöne und niemals genug zu preisende Bild von der Hand des überaus berühmten Raffael", schwärmt der Benediktinermönch Felice Passero 1593.
"Darauf sind eine Madonna mit dem Kinde auf dem Arm und ihr zu Füßen der hl. Sixtus und die hl. Barbara gemalt sowei zwei Engelchen, welche Herz und Augen in süßes Entzücken versetzen, wann immer man sie erblickt."




Wenn in einer Sonderausstellung alles zur Sixtina gezeigt wird, wie jetzt in der Galerie Alte Meister, darf diese Hymne nicht fehlen. Als Passero sie schreibt, hängt die Madonna seit 80 Jahren in der Kirche San Sisto in Piacenza. Raffael, zu Lebzeiten schon so berühmt, dass die meisten nur seinen Vornamen kennen, lebt seit 73 Jahren nicht mehr. Raffael wurde gerade mal 37 Jahre alt.

Raffael, auch Raffael da Urbino, Raffaello Santi , Raffaello Sanzio oder Raphael (* 6. April oder 28. März 1483 in Urbino; † 6. April 1520 in Rom) war ein italienischer Maler und Architekt der Hochrenaissance.Raffael erlangte vor allem als Maler für seine harmonischen und ausgewogenen Kompositionen und lieblichen Madonnenbilder Berühmtheit. Zu Lebzeiten genoss er das Privileg, nur unter seinem Vornamen bekannt zu sein, und noch heute kennen die wenigsten seinen Nachnamen. Bis weit in das 19. Jahrhundert hinein galt er als der größte Maler.Neben seiner Laufbahn als Maler in Florenz und am päpstlichen Hof in Rom wurde er auch Bauleiter des Petersdoms und Aufseher über die römischen Antiken

Sein unsittlicher Lebenswandel sei Grund für sein frühes Ableben gewesen, stammt von Giorgio Vasari, Biograf berühmter Renaissancemaler und einer der ersten Kunsthistoriker. Verheiratet war Raffael nie, aber verlobt mit der Nichte eines Kardinals. Es heißt, bis zu seinem Ende habe seine Geliebte, eine Bäckerstochter, in seinem Haus gelebt. Sie soll auf mehreren Gemälden verewigt sein. Aus Florenz hat die Drsedner Gemäldegalerie jetzt die berühmte "Donna Velato" ausgeleihen. Besagter Vasari meinte 1550, Raffael habe hier seine Geliebte porträtiert.
Heute sind die Kunsthistoriker der Ansicht, die "Donna Velato" und die Dresdner Madonna stehen für Raffaels Schönheitsideal.
Was die Entstsehungsgeschichte des Bildes betrifft, halten sie sich an die Fakten: Papst Julius II. führte Krieg gegen den französischen König in Oberitalien. Obwohl er selbst die Waffengänge leitete, bringt erst der Einsatz der Schweizer Garde die Wende. Nach dem Sieg tritt Piacenza dem Kirchenstaat bei. Julius ist der Stadt und dem Kloster San Sisto eng verbunden, das in seiner Kardinalszeit zu seinem Wirkungskreis gehörte.
Er hatte sich für den Neubau der Klosterkirche eingesetzt. Als sicher gilt, das Papst Jukius II. Raffael den Auftrag gibt, für den Altar von San Sisto eine Madonna zu malen.
In San Sisti werden seit seiner Gründung im 9. Jahrhundert Reliquien der heiligen Barbara und die Gebeine des heiligen Sixtus verwahrt.
In der christlichen Vorstellung können Märtyrer wie Sixtus und Barbara, sie wurden beide enthauptet, zwischen Himmel und den Gläubigen vermitteln. In dieser Rolle malt Raffael sie auf sein Madonnenbild.
Fast 250 Jahre haben die schwarzen Mönche die schöne Madonna und die entzückenden Engelchen für sich allein gehabt. Es gibt keinen Beleg dafür, dass die Raffaelverehrer nach Piacenza pilgerten, um die Sixtina zu
sehen. Die Herren lassen auf ihrer Grand Tour die kleine Stadt nahe Mailand links liegen. Es gibt nur wenige Kopien des Gemäldes, bis 1752 Giovanni Battista Bianconi in San Sisto erscheint. Er ist als Kunstagent für August III. auf der Suche nach einem großen Raffael für die Bildergalerie in Dresden. Ein Versuch, dem Vatikan Raffaels "Madonna di Foligno" abzukaufen war gescheitert. Nun hat Bianconi Glück. Die Mönche sind hoch verschuldet. Schweren Herzens sind sie bereit, sich von ihrer Madonna zu trennen. Sie fordern 36.000 scudi romani. Das ist eine enorme Summe. Für große Historienbilder zahlte August III. gewöhnlich zwischen 800 und 1000 scudi. Bianconi bietet 20.000, die Mönche sind empört, fordern aber nur noch 30.000 scudi. Nach zähen Verhandlungen geht das Gemälde für 24.000 scudi nach Dresden. Der Papst gibt sein Okay, wenn die Mönche das Geld zur Schuldentilgung verwenden ( mein Kommentar: hat sich doch bis heute nichts geändert), der Herzog von Parma, als Landesherr, wiil eine "Beraubung solcher Tragweite" nicht dulden, Klärung erfolgt auf diplomatischen Weg ( mein Kommentar: auch nichts Neues, bis heute), die Zöllner machen Schwierigkeiten, die nur ein Schreiben von höchster Stelle bewegen kann, die Madonna ziehen zu lassen.Bianconi ist völlig erschöpft, als er endlich das Bild in Dresden abliefert und wird für seine zweijährige kräftezehrende Mühe mit 1000 scudi belohnt.
Der Herr von Schsen und König von Polen hat nun endlich einen großen Raffael und kann mit der Sammlung anderer Fürstenhäuser konkurrieren.
Doch vorerst keine Begeisterung in Dresden. Adolf von Menzels Gemälde "Platz für den großen Raffael" ist reine Legendenbildung.
Der Gelehrte Winkelmann, den Raffaels Madonna überwältigt, bleibt die Ausnahme. Als Goethe die Galerie 1768 erstmals besucht, schaut er sich die italienischen Bilder gar nicht an, erst auf seiner Italienreise lernt er sie schätzen. Aber vom mit den Jenaer Frühromatikern verbandelte Gorg Forster bekommt die Sixtina die Höchstpunktzahl, als er in seinem Tagebuch, 1784 eine Art Hitliste der Dresdner Gemälde anlegt.Jeder will nun die Schöne sehen. Der Maler Heinrich Meyer zeichnet Teilkopien, weil die Öffnungszeiten der Galerie zu kurz sind, um eine Kopie des ganzen Gemäldes in Öl anzufertigen. Zunehmend euphorisiert machen sich Maler und Kopisten auf den Weg zur Sixtina.Kopien von Raffaels Bild schmücken nicht nur Wände in Schlössern, sondern auch in bürgerlichen Wohnzimmern. Legionen von Intellektuellen und Künstlern von den Romantikern über Kleist und Nietzsche bis Thomas Mann beziehen Position zu diesem Bild. Längst inszeniert es nun auch die Dresdner Galerie als Hauptwerk. Die Madonna, darauf weist man in Dresden gern hin, ist an der Schwelle zum 20. Jahrhundert bereits ein Kultbild. Anders als die einzige Frau, die ihr Konkurrenz machen kann, Leonardos Mona Lisa im Louvre, musste sie dafür auch nicht geraubt werden.
Aus ganz anderen Gründen wird auch Sixtinische 1939 den Augen der Öffentlichkeit entzogen. Der 2. Weltkrieg ist zehn Tage alt, als das Bild aus Angst vor Luftangriffen seinem Rahmen entnommen wird und in einer Sperrholzkiste im Keller unter dem Semperbau landet. Von dort komt mt es bis 1943 auf die Albrechtsburg. Doch auch dieser Ort gilt nicht als sicher, die Madonna wird mit anderen Spitzenbildern zusammen in den unbenutzten Eisenbahntunnel am Lohmgrund bei Rottwerndorf verfrachtet. Dort wird sie am 14. Mai 1945 unter Leitung von Unterleutnant Leonid Rabinowitsch vom 164. Bataillon mit Sonderauftrag der 5. Gardearmee der 1. Ukrainischen Front auf einen LKW geladen und in ein Sammeldepot nach Pillnitz gebracht. Als sicher gilt, dass die Madonna bereits mit den 600 Bildern des ersten Transports am 10. August 1945 das Moskauer Puschkin - Museum erreicht, das als Beutekunstdepot dient. Die Weltöffentlichkeit erfährt davon Anfang Dezember 1945 über eine schwedische Agentur. Fast genau zehn Jahre bleibt das Bild weiter verborgen. Es wird vermisst, aber wer fragt, bekommt keine Antwort, bis die UdSSR am 31. März 1955 erklärt, die dResdner Kunstwerke nach Dresden zurück zu geben. Vor ihrer Heimkehr werden sie in Moskau und dann in Berlin gezeigt. Am 03.Juni 1956 wird die Sempergalerie wieder- eröffnet und die Sixtina ist wieder in Dresden zu sehen. Der durch Publikationen und vor allem den Film "Fünf Tage - Fünf Nächte" verbreiteten Legende, sowjetische Soldaten und Restauratoren hätten Raffaels Madonna in letzter Minute vor der Zerstörung durch die feuchte Luft im Stollen gerettet, stehen die Historiker heute skeptisch gegenüber. In den Übergabeprotokollen findet sich dafür kein Beleg. Was über zehn Jahre mit den Bildern im Beutekunstdepot geschah, ist unbekannt. Sicher hat die Rettungslegende der Sixtina einen weiteren Popularitätsschub verliehen. Den meisten Menschen reicht es, ein Detail zu sehen, um das ganze Bild zu erkennen. Das gilt besonders und bis heute für die beiden Stars mit den Flügelchen, mit denen vor allem - aber nicht nur - für alles geworben wird, was süß und entzückend ist.

"Die Sixtinische Madonna. Raffaels Kultbild wird 500" in der Gemäldegalerie Alte Meister Dresden zeigt rund 200 Exponate darunter Leihgaben aus Florenz und London, aber auch Alltägliches und Kitsch.
Geöffnet bis 26. August 2012 täglich von 10 bis 18 Uhr, Donnerstag und Samstag bis 21 Uhr,( am 14.Juli nur bis 18 Uhr)
Zur Ausstellung ist im Prestel Verlag ein 380-seitiger Katalog mit 174 Farbabbildungen erschienen, der das gesamte derzeitige Wissen über die Sixtina enthält.