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"Vor dem Tor" oder der "Frühlingsspaziergang" von Johann Wolfgang von Goethe [eo]

Frühlingsspaziergang

esperanto



Vom Eise befreit sind Strom und Bäche
Durch des Frühlings holden, belebenden Blick,
Im Tale grünet Hoffnungsglück;



Der alte Winter, in seiner Schwäche,
Zog sich in rauhe Berge zurück.

Von dort her sendet er, fliehend, nur
Ohnmächtige Schauer körnigen Eises
In Streifen über die grünende Flur.



Aber die Sonne duldet kein Weißes,
Überall regt sich Bildung und Streben,
Alles will sie mit Farben beleben;
Doch an Blumen fehlts im Revier,
Sie nimmt geputzte Menschen dafür



Kehre dich um, von diesen Höhen
Nach der Stadt zurück zu sehen!
Aus dem hohlen finstern Tor
Dringt ein buntes Gewimmel hervor.

Jeder sonnt sich heute so gern.
Sie feiern die Auferstehung des Herrn




Denn sie sind selber auferstanden:
Aus niedriger Häuser dumpfen Gemächern,

Aus Handwerks- und Gewerbesbanden,
Aus dem Druck von Giebeln und Dächern,
Aus der Straßen quetschender Enge,



Aus der Kirchen ehrwürdiger Nacht
Sind sie alle ans Licht gebracht.



Sieh nur, sieh! wie behend sich die Menge
Durch die Gärten und Felder zerschlägt,
Wie der Fluß in Breit und Länge
So manchen lustigen Nachen bewegt,

Und, bis zum Sinken überladen,
Entfernt sich dieser letzte Kahn.
Selbst von des Berges fernen Pfaden

Blinken uns farbige Kleider an.



Ich höre schon des Dorfs Getümmel,
Hier ist des Volkes wahrer Himmel,

Zufrieden jauchzet groß und klein:
Hier bin ich Mensch, hier darf ichs sein !




Fotos von Albert Jäger



13 comments

Johanna said:

Damit hast du mir eine besondere Freude gemacht, danke Albert !
12 years ago ( translate )

Konny said:

Goethe wäre über Deine Präsentation seines Gedichtes bestimmt angetan, obwohl er mit Lob ja nicht sehr freizügig umgegangen sein soll. Leider sind jüngere Leute nicht mehr oder nur rudimentär vertraut ,mit deutschen Dichtern und ihren Werken. Das ist sehr schade, sagt aber auch etwas über unser Bildungssystem aus, es ist sehr verbesserungswürdig! Ich bewundere heute noch die Vielseitigkeit Goethes - Dichter, Denker, Wissenschaftler ( z.B. Farblehre), Politiker, Bergbauexperte usw. - fast wie unsere heutigen Politiker, lach,lach. Naturverbundenheit hat auch etwas mit Freigeist, mit sich finden, in sich ruhen, zu tun. Goethe hat dies auf alle Fälle schon gewußt und gelebt und wir würden gut daran tun, wenn wieder mehr danach leben. Ich tue es jedenfalls.
Vielen Dank Albert, für diesen sehr schönen Beitrag!
12 years ago ( translate )

Elbertinum said:

die Gegenüberstellung - enge Stadt - dunkle Kirche - und Natur ist schon interessant -
hier ist des Volkes wahrer Himmel - hier bin ich Mensch hier darf ichs sein "
12 years ago ( translate )

Hans-Georg Kaiser said:

Jen mia ĵus farita traduko de la poemo: www.ipernity.com/blog/cezar/454005
11 years ago ( translate )

Götz Kluge said:

Lyruk

Dirch des Frühlungs holden, belebenden Bluck,
um Tale grünet Hoffningsglück;
Der alte Wunter, un seuner Schwäche,
Zog such un raihe Berge zirück.
Von dort her sendet er, fluehend, nir
Ohnmächtuge Schaier körnugen Euses
un Streufen über due grünende Flir.
Aber due Sonne dildet keun Weußes,
Überall regt such Bulding ind Streben,
Alles wull sue mut Farben beleben;
Doch an Blimen fehlts um Revuer,
Sue nummt gepitzte Menschen dafür.
Kehre duch im, von duesen Höhen
Nach der Stadt zirück zi sehen!
Ais dem hohlen funstern Tor
Drungt eun bintes Gewummel hervor.
Jeder sonnt such heite so gern.
Sue feuern due Aiferstehing des Herrn,
Denn sue sund selber aiferstanden:
Ais nuedruger Häiser dimpfen Gemächern,
Ais Handwerks- ind Gewerbesbanden,
Ais dem Drick von Guebeln ind Dächern,
Ais der Straßen qietschender Enge,
Ais der Kurchen ehrwürduger Nacht
Sund sue alle ans Lucht gebracht.
Sueh nir, sueh! wue behend such due Menge
Dirch due Gärten ind Felder zerschlägt,
Wue der Fliß un Breut ind Länge
So manchen listugen Nachen bewegt,
ind, bus zim Sunken überladen,
Entfernt such dueser letzte Kahn.
Selbst von des Berges fernen Pfaden
Blunken ins farbuge Kleuder an.
uch höre schon des Dorfs Getümmel,
Huer ust des Volkes wahrer Hummel,
Zifrueden jaichzet groß ind kleun:
Huer bun uch Mensch, huer darf uchs seun!


Aus meinem Chaos-Blog wahlspezial.de/stichwort/ostern
Kleiner Hinweis: Auf der Tastatur sind "u" und "i" Nachbarn. Die geraten gelegentlich durcheinander.
9 years ago ( translate )

Elbertinum said:

Nicht jeder der nicht alle Dogmen der Katholischen Kirche glaubt - ist automatisch ein Heide -
5 years ago ( translate )

Elbertinum said:

Gestern am 15.Mai 2019 hat es im Osterzgebirge heftig geschneit -
4 years ago ( translate )

Hans-Georg Kaiser said:

Die Bebilderung ist grossartig, danke!

Anbei ene kleine Anekdote zum Gedicht:

Diese Gedicht musste einmal ein Junge auswendig lernen, ein gewisser Hampe mit Segelfliegerohren, in einem Erziehungsheim, in Uhlstädt. Der grausame Einpauker war ich selbst - damals der Klassenprimus in der neunten Klasse - um seine Leistung in Deutsch zu verbessern.

Am Ende konnten es alle Zimmerinsassen ohne Stottern herbeten, zuletzt sogar der zerquälte Hampe . (Viel später strahlte er, dass der Lehrér ihm eine bessere Deutschnote zuerkannte:)! Daher kenne ich das Gedicht immer noch gut, kann es immer noch fast ohne Unterbrechung auswendig deklamieren, das Gedicht ist genial, einmalig, der wahre heidnische Goethe! Das Beste im ganzen Faust. Wundervoll!

Hier bin ich Mensch, hier darf ich's sein! Die vollendete Utopie. Kann man es besser ausdrücken? Auch Hampe erlebte diese Befreiuung schließlich, seine Demütigung wurde sein erster grosser Sieg über sich selbst. Der Sklave Hampe, der meinte, er sei zu allem zu dumm, starb, es erwachte der selbstbewusstere Hampe. Der nun spürte: Ich bin ein Mensch, wie sie alle, auch ich, der Hampe, kann über mich hinauswachsen.
14 years ago ( translate )

Elbertinum said:

Es ist nur ein kleiner Schritt aber ein weiter Weg -
vom kleinen Innenraum der Kirche(n) in den großen Außenraum von Mensch und Natur -
14 years ago ( translate )

Hans-Georg Kaiser said:

Muss man sich immer gleich entschuldigen, nur weil man eine Meinung HATTE :)

Und warum immer wieder dieses holprige "mit Sicherheit", wo man doch einfach 'sicherlich' sagen könnte...:)


Wenn ich mit meiner Donjo im Frühling spazieren gehe, sage ich ihr immer noch den Osterspaziergang auf, richtiger Titel: "Vor dem Tor", was sie immer noch beeindruckt. Sie mag das, weil ich es ihr auch schon herbetete als ich 16 Jahre alt war, und wir noch frisch verliebt:) ...wir waren und sind noch romantisch...
14 years ago ( translate )

Hans-Georg Kaiser said:

Goethe hat mich und Donjo zur Naturliebe erzogen, das rechne ich ihm hoch an! Wir sind oft auf seinen Spuren gewandelt, Goethe hat die Natur geliebt, so wie wir jetzt.
14 years ago ( translate )

Hans-Georg Kaiser said:

Kara Elbertinum,

mi tradukos ĝin Esperanten, sed sen tempopremo...

Via Cez!
14 years ago ( translate )

Christa Schwarz said:

Schöne Präsentation.
14 years ago ( translate )